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Bötticher, Carl
Die Tektonik der Hellenen (Band 2): Der Tempel in seiner räumlichen Anordnung und Ausstattung — Berlin, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.4581#0009
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XI

Eine solche typographische Vorlage nahm Schinkel entgegen. Sie bestand aus
der Einleitung zur Tektonik, welche auf Seite 1 bis 26 der I Ausgabe: „Zur Philo-
sophie der tektonischen Form" überschrieben ist. Das Manuscript war im Jahre
1838 an die Redaktion der Wiener allgemeinen Bauzeitung übersendet und bald
darauf von deren Eigenthümer L. Förster als Ankündigung der Tektonik publicirt
worden. Mogte indessen die Aufnahme dieser Vorlage sein wie sie wollte, so viel
ist gewiss, dass keine Missbilligung, selbst nicht die Schinkels im Stande gewesen
wäre, mein einmal darin abgelegtes, auf der Forschung beruhendes, künstlerisch
wissenschaftliches Glaubensbekenntniss zu erschüttern: ein Glaubensbekenntniss, dem
nach Erscheinen der Tektonik ein August Boeckh, ein Otto Jahn und eine alte mit
scharfer Waage prüfende Landesuniversität beipflichteten. Jedoch wendete sich die
Sache anders. Als die Blätter an Schinkel mit der Bemerkung überreicht wurden,
dass sie die Grundzüge meines zur Publication eben vollendeten grösseren Werkes
über die Tektonik der Hellenen enthielten, drükkte er nach der ersten befremd-
lichen Überraschung ganz unverholen seine Freude aus, endlich die Gedanken eines
Architekten einmal auf die Betrachtung gerade derjenigen Kunst gerichtet zu sehen,
für welche ihm heut zu Tage alles tiefere Interesse erloschen zu sein scheine. Die
gespannte Aufmerksamkeit bei Durchsicht des Vorgelegten unterbrachen häufige Fra-
gen darüber, wie ich zu dieser Anschauung gelangt sei, und in welchen alten
Quellen sich die Gewähr dafür finde, was natürlich erläuternde Antworten veran-
lasste. Mit gleicher Spannung durchging er die Herleitung des Ursprunges aller
Kunstformen, aus dem Gedanken die scheinbar latente statische Kraftleistung eines
jeden baulichen Gliedes wie die Verknüpfung aller Glieder unter einander durch
analoge Bildvergleiche wahrnehmbar vor Augen zu stellen. Nach einer Pause des
Schweigens gestand er ganz offen, wie ihn dieses Räthsel lange, recht lange be-
schäftigt habe ohne dass ihm die Lösung desselben möglich geworden sei. Mit
einem Wohlwollen in Blikk und Stimme das in die Seele drang, reichte er mir die
Hand den aufrichtigsten Glükkwunsch zur Wiederauffindung des verschollenen Ge-
sezes jener Kunst aussprechend. Er bemerkte dabei, es sei dessen Gültigkeit für
alle Zeiten von mir mit Recht aus dem Grunde hervorgehoben, weil eben dasselbe
identisch dem Principe der ursprünglichen Natur bilde, indem es in der Form jeden
Körpers dessen eigenschaftliches Wesen auspräge. Bei der Hand mir das Ver-
sprechen abnehmend so rasch wie möglich das vollendete Werk ihm wie dem ganzen
Kreise der Architekten zugänglich zu machen, schloss er ein Gespräch das mir
unvergesslich bleiben wird.

Das war die erste Unterhaltung über den Gegenstand, welche der edle Mann
mir vergönnt hatte: es sollte leider auch das lezte Wort sein, das ich aus seinem
Munde vernahm. Er sank auf das Krankenlager, von dem er nicht wieder erstand.
In Wahrheit doppelt schmerzlich für mich, dass gerade der Augenblikk, welcher
mir eine beneidenswerthe unschäzbare Sympathie zuwendete, die engere persönliche
Anknüpfungen hoffen Hess, zum Augenblikke des Lebewohls für immer wurde.

Die festlichen Worte der Erinnerung*) welche an der Wiederkehr des XIII März
so oft von mir öffentlich im Kreise der feiernden Kunstgenossen dem grossen Heim-
gegangenen gewidmet worden sind, geben Zeugniss wie lebendig sein Andenken, das

*) Karl Friedrich Schinkel und sein baukünstlerisches Vermächtniss etc. Berlin 1857 bei
Ernst & Korn.
 
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