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Bötticher, Carl
Die Tektonik der Hellenen (Band 2): Der Tempel in seiner räumlichen Anordnung und Ausstattung — Berlin, 1881

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https://doi.org/10.11588/diglit.4581#0018
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Stätten des Cultus und Zeichen der Verehrung.

§. 30. Ueber die Naturmale in der Verehrung.

1. Wie unklar auch deu Hellenen zur Zeit ihres Eintrittes in die Ge-
schichte als eigenartiger Volksstamm, die Vorstellung des individuellen We-
sens und der Bildgestaltcn ihrer olympischen Gottheiten noch sein mogte, sie
erkennen doch für die Numina dieser, wie überhaupt aller Dämonen von
welchen das Universum belebt und erfüllt schien, bereits irdische Sitze
als bestehend an, die jene gleich Tempelhäusern seit der vollendeten Erd-
schöpfung eingenommen und bewohnt hätten. Für solche ursprünglichen,
von der Natur geschaffenen Sitze, glaubte man Stätten und Oertlichkeiten auf
Berghöhen und Felsen, in Hainen Thalen und Ebenen halten zu müssen, wo
sich das Leben und Weben eines jener Numina durch Heil und Segen spen-
dende, zuweilen auch gefürchtete Machtausflüsse, überhaupt durch übernatür-
liche Erscheinungen und Wahrzeichen, in wunderbaren Vorgängen merklich
zu offenbaren schien. Im Besonderen aber galten bestimmte tellurische Er-
zeugungen und Gebilde auf diesen Stätten, wie Steine Grotten und Erdklüfte,
Quellen Teiche und Bäume, also Naturmale, für die engeren Behausungen
der unsichtbaren hier waltenden Gottesmächte und die eigentlichen Träger ihrer
Numina. Dergleichen seit dem Werden aller Dinc^e vorhandenen Naturmalc
mit Eigenschaften der erwähnten Art — waren es wirkliche oder auch bloss
eingebildete — mussten offenbar schon ursprünglich an sich heilige sein,
da sie die Gottheit aus eigner Bewegung zum Wohnsitze erkoren und so zu
ihrem Heiligthume bestimmt zu haben schien.

Aus solchem Verhältnisse erklärt es sich leicht wenn der Mensch die
Zeichen seiner Anerkennung und Verehrung des inwolmenden Numen, mit
allen dessen Wesen entsprechenden Opfern und Weihen daran knüpfte. Da
nun die Gründung eines Altares das erste Zeichen der Cultusverrichtung ist,
so wird man mit Itecht die frühesten Opferstätten und Altäre vor diesen
Naturmalen annehmen können. Obgleich deren Stätte hiermit zu einer Gottes-
stätte wurde, so hat doch keines dieser Naturmale als wirkliches Ebenbild
der Gottheit gegolten, vielmehr ist es bloss für das sichtbare Zeichen ange-
sehen in welchem man die Lebenskraft ihres Wesens thätig wähnte. In die-

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