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Boisserée, Sulpiz
Sulpiz Boisserée (Band 1) — Stuttgart, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.1408#0881
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878

und Milde, hoffe ich, wohlwollend anfnehmen, und so werden
Sie mir als einem bald ffebenzigjährigen Mann, der sich sein
Leben lang bemüht hat, die mittelalterliche, christliche Kunst wieder
zu wahrer Schätzung und Verchrung zu bringen, auch erlauben,
noch ein Wort über die nelieste Richtung in Beurtheilung katho-
lischer Kunstangelegenheiten hinzuzufügen.

Man ist nämlich in Frankreich, wo man uns Deutsche mit
unserer Vorliebe für mittelalterliche Kunst lange verhöhnt und
verlacht hat, in den letzten Jahrzehnten endlich auch zu einer
bessern Würdigung des Mittelalters gekommen, aber bei der be-
kannten, nationalen Lebhaftigkeit ist man auch schon in den exklu-
sivsten Eifer gerathen und möchte es zum Dogma machen, daß
kein Heil für die christliche Kunst sey, als in der strengen Nach-
ahmung der steifen, abgemagerten, mißgestalteten Figuren des
zwölften und dreizehnten Jahrhunderts. Man vergißt, daß die
Kunst die Sinne erheben und veredeln soll und steht auf dem
Punkt, sie zur Abtödtung der Sinne zu gebrauchen. Wenn man
auf diesem Wege fortschritte, so würde man in den Jrrthum der
griechischen Kirche verfallen, die Kunst stationär und zu einer
bloßen Hieroglyphik machen. Die römische Kirche hat wie be-
kannt, diesen Abweg immer mißbilligt und hat der Kunst mit
der Freiheit zwar die Möglichkeit der Verirrung, aber auch jenen
der Erhebung erhalten und sie in letzterer zu fördern, wird sie
in ihrer Weisheit und Heiligkeit nie aufhören. Jndessen droht
jetzt falscher Eifer und die leidige Nachahmungssucht, uns in
Deutschland, eine der üchten, erhebenden wahrhaft katholischen
Kunst nachtheilige Verwirrung anzurichten.

Hat man ja doch, von jener sranzösischen Leidenschaftlichkeit
angesteckt, in einer deutschen Ständeversammlung aller nicht streng
mittelalterlichen Baukunst den Bann verkündigt; wie möchte 3iom
mit seinen ehrwürdigsten und prächtigsten Basiliken vor solchen
Lehren Gnade finden! .

Es wäre wahrlich zu beklagen, wenn die gute Sache, welche
viele Gleichgesinnte seit dem Anfang des Jahrhunderts vorzüglich
in Deutschland, für die bessere Würdigung der deutschen Kunst
anzustreben und zu pslegen, bemüht gewesen, nun durch falschen
Eifer in ihrem Gedeihen gehemmt werden sollte; denn wird dieses
Treiben nicht gemäßigt und in die gehörigen Schranken gewiesen,
 
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