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Boll, Franz
Sphaera: neue griechische Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Sternbilder — Leipzig, 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.19748#0194
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1041 [No. 33/4.] BERLINER PHILOLOGISCHE WOCHENSCHRIFT. [20. August 1904.] 1042

neuen Sternbilder zu gewinnen. Bereichert und
geschmückt sind diese Darlegungen durch Unter-
suchungen über die Geschichte der griechischen
Sternbilder und durch Mitteilungen über Illu-
strationen in (bes. Münchener) Hss. Auch für
die Wiederherstellung alexandrinischer Stern-
dichtungen fällt manches ab (Katasterismen aus
dem Demeterkreis, auf Hermippos zurückgeführt,
S. 110,2. 123,1). Ganz neu ist die Deutung des
Ophiuchos auf Hygieia (S. 113). Außerdem
liefern aber die Texte auch ein wertvolles Ge-
samtergebnis: sie zeigen uns viele der grie-
chischen Sternbilder in jener reicheren Aus-
gestaltung, von der uns bisher nur die Illu-
strationen mittelalterlicher Hss Kunde gegeben
hatten. Und da die Texte im letzten Grunde
notwendig auf Globen zurückgehen, folgt sofort,
was bisher nur mit Wahrscheinlichkeit vermutet
war, daß diese Ausschmückungen auf einer
Klasse antiker Globen zu sehen gewesen sind.
Auf die Frage, wie sie dahin kamen, geht B.
nicht ein. Thieles Hypothese (Antike Himmels-
bilder S. 144), daß es sich um Illustrationen zu
mythographischer Litteratur handle, lehnt er
(S. 102 f.) ab; mit Unrecht, wie ich, obwohl Thieles
Ausführungen im einzelnen bö'chst anfechtbar sind,
jetzt glaube. Jedermann leuchtet ein, daß
der Engonasin als Herakles, der Fuhrmann als
Apobat der mythologischen Deutung der Stern-
bilder entstammen. Warum sollen diese Gestal-
tungen dann nicht zuerst in den Illustrationen
eben der Bücher aufgetreten sein, welche die
Sagen mitteilten? Von da werden sie ihren
Weg gefunden haben zu den Schulgloben, auf
welche die Aratkommentare unzählige Male Be-
zug nehmen, von hier endlich zu den astro-
logischen Globen. Bei dieser ganzen Entwicklung
spielte die Beobachtung des Himmels selbst
keine Rolle; man tut, wie schon oben (Sp .1038)
angedeutet, auch dem Teukros nicht zu nahe,
wenn man sie ihm abspricht. Diese Anschauung
läßt mich bezweifeln, daß die handschriftliche
Bildertradition, soweit sie Berührung mit Stern-
sagen zeigt, in irgend einem Stück (den zwei-
beinigen Schützen nicht ausgenommen) eine ver-
lässige Fübi'erschaft abgebe, wo es sich darum
handelt, über unsere mythographischen Zeugen
hinaus zu den Anfängen der Sternbildgestaltung,
zum 'voreudoxischen' Globus, emporzusteigen.
Das typische Beispiel ist mir der Engonasin als
Herakles im Kampf mit der Hesperidenschlange
(B. S. 102). Der Mythus steht in den Catast.
(cap. IV); natürlich ist dort mit der Schlange

das Sternbild des Drachen gemeint: den Baum
mit den Äpfeln, den die Schlange bewacht, soll
man am Himmel überhaupt nicht suchen. Aber
ein oberflächlicher und um die astrothetische
Wirklichkeit nicht besorgter Illustrator konnte
aus den Worten wohl das Bild des Herakles
mit Baum und Schlange vor sich, wie es Hss
eben der Catast. und die neuen Texte zeigen,
herausspinnen. Woher soll es denn sonst ge-
nommen sein? Also sind für mich hier die Catast.
doch die Quelle aller späteren Darstellungen,
wie Thiele gewollt hat; und mit dem zwei-
beinigen Schützen braucht es sich nicht anders
zu verhalten. Wie selten entspricht sein Bild
wirklich dem eines archaischen Silens! In seinem
Falle hat freilich der Verfasser der Catast.
die archaische Darstellung vor Augen gehabt
(Bethe, Ehein. Mus. LV S. 414ff.); aber die Illu-
stratoren kann ich nicht als selbständige Zeugen
daneben gelten lassen.

Kap. X beschäftigt sich mit den ägyptischen
Sternbildern in den neuen Texten. Hier wird
unsere Erkenntnis gewaltig gefördert durch die
Kombination der Texte mit ägyptischen Denk-
mälern. Es wird nicht bloß eine ansehnliche
Zahl Sternbilder3) identifiziert und mehr oder
minder sicher am Himmel lokalisiert, es erfahren
auch nebenbei zwei der meistbehandelten ägyp-
tischen Monumente, die beiden Himmelsbilder
aus dem Tempel von Dendera4), eine im wesent-
lichen abschließende Gesamtauslegung. Im ein-
zelnen wird beim Zurückgehen auf die Originale
vielleicht noch manches klarer werden; vom Kund-
bild von Dendera stand außer dem Stich eine
Photographie nach einem Gipsabguß zur Ver-
fügung (sie ist dem — überhaupt sehr gut aus-
gestatteten — Buch in vortrefflicher Wiedergabe
als Taf. III beigefügt); aber der Abguß scheint
etwas verwaschen zu sein. Indes daran allein
kann es nicht liegen, wenn Beschreibung und
Bild nicht immer völlig stimmen. Der Gegen-
stand in der Scheibe über dem Widder sieht auf

3) Nur über die TiXoia und axdcpr) scheint mir noch
nicht das letzte Wort gesprochen zu sein; außerdem
dünkt mir die Annahme einer Eileithyia-Kassiopeia
neben der sicher nachgewiesenen Eileithyia-Jungfrau
unnötig, da die letzten Sterne des Bildes der Jung-
frau (x u. s. w.) noch nicht durch die Kulmination
gegangen sind, wenn das Zeichen des Steinbocks auf-
geht.

4) Über ein weiteres derartiges Monument, das
durch Athanasius Kircher vermittelt, aber in seiner
Bearbeitung leider nicht benutzbar ist, vgl. S. 451 ff.
 
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