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einige Ausführungen über die Zeichengeräte folgen, welche von den mittelalterlichen
Meistern beim Reißen verwendet wurden. Hierbei macht man zweckmäßigerweise eine
Unterteilung; man kann nämlich in gewissem Sinne von primären und sekundären mittel-
alterlichen Zeichengeräten sprechen:
Als primär sind Zirkel und Richtscheit zu bezeichnen. Diese beiden Instrumente sind
zwar heute von untergeordnetem Range, im Mittelalter dagegen kommt ihnen eine unmit-
telbar konstruktive Bedeutung zu. Wenn wir uns nochmals jene geometrischen Systeme
vor Augen halten, welche bei der Gestaltung der Grundrisse und Querschnitte angewendet
wurden, so verstehen wir den Sinn des Wortes „konstruktiv“. Wir haben gesehen, daß
alle Systeme entweder auf dem Kreis selbst oder doch auf den von ihm abgeleiteten, ein-
oder umschriebenen Polygonen fußen. Ihr zeichnerisches Konstruktionselement ist also
zunächst der Zirkel und nach ihm das Richtscheit (Lineal) zum Ziehen von Geraden und
Fluchtlinien.
Die Verfasser von Traktaten nehmen häufig auf die beiden Zeichengeräte — oder in
wirklichem Sinne - Konstruktionsgeräte Bezug. Theophilus presbyter gibt in diesem Zu-
sammenhang in seiner Unterweisung über die Ornamentierung von Sätteln, Sänften,
Stühlen usw. die Anweisung: „...mache mit Zirkel und Richtscheit die Maße und teile
dein Werk ein, seien es Menschenbilder oder Tiere, Vögel oder Laubwerk...“234 Auch das
bereits früher erwähnte Urteil eines Zeitgenossen über Raymond du Temple nimmt aus-
drücklich auf die beiden Instrumente Bezug.235 Ein von Heideloff zitiertes Steinmetzen-
buch von 1418 nennt ebenfalls den Zirkel in solchem Sinne.236 Roritzer spricht im Vor-
wort seines Fialenbuches vom ausgezogenen Steinwerk, hervorgebracht aus dem Grunde
der Geometrie „mit austailung des zirckels...“ Schmuttermayer bezeichnet „... wage, win-
ckelmoss, triangel, zirckel und linial...“ als Ursprung des Maßwerks. Rivius widmet seine
Bücher allen Handwerkern, „welche sich des Zirckels und Richtscheids künstlichen ge-
brauchen“. Albrecht Dürer gibt eine „Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richt-
scheit“ heraus und „Weisskunig“ erzählt, wie der spätere Kaiser Maximilian „die recht
maisterliche kunst des zirks“ erlernte.237
Die Angaben der Schriftquellen werden durch den Inhalt der Traktate auch zeichnerisch
klargestellt. Werke wie Dürers „Unterweisung“, Höschs „Geometria teutsch“ oder die
„Baukunst“ des Rivius lehren den Benützer in weitläufigen Kapiteln die Verwendung von
Zirkel und Richtscheit beim Aufreißen der verschiedensten geometrischen Figuren, wobei
unter anderm der „unverruckte Zirkel“ eine große Rolle spielt, also das Problem, mit
ein- und derselben Zirkelspannweite möglichst viele Figuren zu entwickeln.
Auch die alten Baurisse verraten die Verwendung von Zirkel und Richtscheit. Hahn-
loser kommt bei der Besprechung des Musterbuches von Villard mehrfach auf diese Frage
zurück, ebenso Tietze bei der Kommentierung der Wiener Risse.238/239 Im übrigen sei noch
auf die verschiedenen Veröffentlichungen Ueberwassers und Kletzls hingewiesen, des-
gleichen auf den Abschnitt „Architekturtheorie“ im Reallexikon der deutschen Kunst-
geschichte.
Die grundlegende Bedeutung von Zirkel und Lineal, Richtscheit und Winkel findet
ihren Niederschlag in der bildlichen oder figürlichen Darstellung alter Baumeister. Fast
ausnahmslos begegnen sie uns mit Zirkel und Winkel bzw. Richtscheit, bisweilen auch nur
mit dem Zirkel allein.240 Dieses äußere Bild zeigt übrigens recht anschaulich den Unter-

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