schied zwischen mittelalterlichem und modernem Entwerfen: Auf der einen Seite der alte
Handwerksmeister mit den Instrumenten der Geometrie, auf der andern der heutige
Ingenieur und Architekt, auf dessen Zeichentisch der Zirkel praktisch bedeutungslos ge-
worden ist, ersetzt durch Maßstablineal, Rechenschieber, Logarithmentafel und Rechen-
maschine - alles Hilfsmittel aus dem Bereich der Arithmetik. Die geometrischen
Kunstgriffe aber sind fast völlig vergessen.
Die Verwendung von Zirkel und Richtscheit als konstruktive Zeichengeräte deutet
vielleicht auf Zusammenhänge mit der Antike hin. Wir wissen, daß Aristoteles und Euklid
die Beschränkung auf diese beiden Instrumente verlangten, weil sie im Hinblick auf eine
geordnete wissenschaftliche Darstellungsweise den höchstmöglichen Grad von Genauigkeit
gewährleisteten.241 Es ist durchaus denkbar, daß sich diese Erkenntnisse wenigstens in
Spuren auch auf das mittelalterliche Steinmetzenhandwerk auswirkten, zumal alte Meister
verschiedentlich auf Euklid und Aristoteles Bezug nehmen.242
Neben den konstruktiven und daher als primär bezeichneten Geräten stehen die sekun-
dären. Sekundär deswegen, weil sie lediglich einen rein zeichentechnischen Wert besitzen.
Unter ihnen wäre an erster Stelle der Reißstift zu nennen, ein Stift aus Silber, Messing
oder einem ähnlichen Metall. Rivius erwähnt ihn in seinem Vitruv-Kommentar als „Syl-
ber oder Messing Grifflien oder Steffte“.243 Lionardo pflegte mit einem Silberstift zu
zeichnen.244 Theophilus presbyter spricht von einem feinen Eisen, „...cum gracili ferro
designa tractus ut appareant.. .“245
Der Zweck all dieser Geräte besteht darin, auf dem Zeichengrund aus Pergament, Pa-
pier, Holz, Wachs u. ä. die geometrische Vorzeichnung des zukünftigen Entwurfes zu
„reissen“, also in leichten Rillen einzudrücken. Solche „Blindrisse“ werden z.B. von Rorit-
zer und Schmuttermayer erwähnt. Wir finden sie aber auch in den meisten mittelalterlichen
Bauzeichnungen, ja selbst in den skizzenhaften Entwürfen Villards. Wir finden sie ferner
in allen Musterbüchern. Eine in der Liebfrauenkirche zu Trier auf Stein gezeichnete Ent-
wurfsidee läßt solche Vorzeichnungen ebenfalls klar erkennen.246 Es gibt also kaum eine
gotische Originalzeichnung, welche diese typischen Merkmale mittelalterlichen Entwerfens
vermissen läßt. So kommt zum Beispiel Tietze bei der Besprechung der Wiener Plan-
sammlung fast überall auf sie zurück. Noch wichtiger aber scheint die schon erwähnte, von
Hahnloser herausgestellte Tatsache, daß selbst nur skizzenhaft ausgearbeitete Entwürfe
Villards geometrisch konstruierte Blindrisse aufweisen.24'’ Entwurfsidee und geometrische
Konstruktion sind also schon von den ersten Anfängen an miteinander verknüpft.
Wo der Reißstift einer Kurve nicht folgen kann, wird er durch die Zirkelspitze ersetzt;
bisweilen findet man an seiner Stelle auch die Bleimine.248 Der bereits mehrfach zitierte
Theophilus presbyter spricht an verschiedenen Stellen vom Zeichnen mit Blei oder Zinn,
auch bei Villard zeigen sich öfters Spuren von Bleirissen. Rivius erwähnt „Pley oder
Zynn“ im gleichen Zusammenhang.249 Die Verwendung der beiden Metalle für Blindrisse
ist von einiger Bedeutung, weil sich dadurch erklärt, warum manche alten Risse keine
Vorzeichnungen aufweisen. Es liegt in solchen Fällen im Bereich der Wahrscheinlichkeit,
daß die Bleirisse nach dem Ausziehen entweder entfernt oder aber durch Tusche oder Tinte
verdeckt wurden. Den zweiten Fall hat Hahnloser bei Villard nachgewiesen.250
Wenn der Plan in seiner Gesamtheit entworfen und aufgezeichnet ist, werden die nicht
zum eigentlichen Bild gehörenden Striche entfernt, alle andern durch Ausziehen verstärkt,
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Handwerksmeister mit den Instrumenten der Geometrie, auf der andern der heutige
Ingenieur und Architekt, auf dessen Zeichentisch der Zirkel praktisch bedeutungslos ge-
worden ist, ersetzt durch Maßstablineal, Rechenschieber, Logarithmentafel und Rechen-
maschine - alles Hilfsmittel aus dem Bereich der Arithmetik. Die geometrischen
Kunstgriffe aber sind fast völlig vergessen.
Die Verwendung von Zirkel und Richtscheit als konstruktive Zeichengeräte deutet
vielleicht auf Zusammenhänge mit der Antike hin. Wir wissen, daß Aristoteles und Euklid
die Beschränkung auf diese beiden Instrumente verlangten, weil sie im Hinblick auf eine
geordnete wissenschaftliche Darstellungsweise den höchstmöglichen Grad von Genauigkeit
gewährleisteten.241 Es ist durchaus denkbar, daß sich diese Erkenntnisse wenigstens in
Spuren auch auf das mittelalterliche Steinmetzenhandwerk auswirkten, zumal alte Meister
verschiedentlich auf Euklid und Aristoteles Bezug nehmen.242
Neben den konstruktiven und daher als primär bezeichneten Geräten stehen die sekun-
dären. Sekundär deswegen, weil sie lediglich einen rein zeichentechnischen Wert besitzen.
Unter ihnen wäre an erster Stelle der Reißstift zu nennen, ein Stift aus Silber, Messing
oder einem ähnlichen Metall. Rivius erwähnt ihn in seinem Vitruv-Kommentar als „Syl-
ber oder Messing Grifflien oder Steffte“.243 Lionardo pflegte mit einem Silberstift zu
zeichnen.244 Theophilus presbyter spricht von einem feinen Eisen, „...cum gracili ferro
designa tractus ut appareant.. .“245
Der Zweck all dieser Geräte besteht darin, auf dem Zeichengrund aus Pergament, Pa-
pier, Holz, Wachs u. ä. die geometrische Vorzeichnung des zukünftigen Entwurfes zu
„reissen“, also in leichten Rillen einzudrücken. Solche „Blindrisse“ werden z.B. von Rorit-
zer und Schmuttermayer erwähnt. Wir finden sie aber auch in den meisten mittelalterlichen
Bauzeichnungen, ja selbst in den skizzenhaften Entwürfen Villards. Wir finden sie ferner
in allen Musterbüchern. Eine in der Liebfrauenkirche zu Trier auf Stein gezeichnete Ent-
wurfsidee läßt solche Vorzeichnungen ebenfalls klar erkennen.246 Es gibt also kaum eine
gotische Originalzeichnung, welche diese typischen Merkmale mittelalterlichen Entwerfens
vermissen läßt. So kommt zum Beispiel Tietze bei der Besprechung der Wiener Plan-
sammlung fast überall auf sie zurück. Noch wichtiger aber scheint die schon erwähnte, von
Hahnloser herausgestellte Tatsache, daß selbst nur skizzenhaft ausgearbeitete Entwürfe
Villards geometrisch konstruierte Blindrisse aufweisen.24'’ Entwurfsidee und geometrische
Konstruktion sind also schon von den ersten Anfängen an miteinander verknüpft.
Wo der Reißstift einer Kurve nicht folgen kann, wird er durch die Zirkelspitze ersetzt;
bisweilen findet man an seiner Stelle auch die Bleimine.248 Der bereits mehrfach zitierte
Theophilus presbyter spricht an verschiedenen Stellen vom Zeichnen mit Blei oder Zinn,
auch bei Villard zeigen sich öfters Spuren von Bleirissen. Rivius erwähnt „Pley oder
Zynn“ im gleichen Zusammenhang.249 Die Verwendung der beiden Metalle für Blindrisse
ist von einiger Bedeutung, weil sich dadurch erklärt, warum manche alten Risse keine
Vorzeichnungen aufweisen. Es liegt in solchen Fällen im Bereich der Wahrscheinlichkeit,
daß die Bleirisse nach dem Ausziehen entweder entfernt oder aber durch Tusche oder Tinte
verdeckt wurden. Den zweiten Fall hat Hahnloser bei Villard nachgewiesen.250
Wenn der Plan in seiner Gesamtheit entworfen und aufgezeichnet ist, werden die nicht
zum eigentlichen Bild gehörenden Striche entfernt, alle andern durch Ausziehen verstärkt,
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