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Die Geschichtsschreibung der Abtei Reichenau.

XI

Der über epistolarum, ebenfalls unter Erlebald begonnen, unter seinen Nachfolgern ver-
mehrt, enthält eine Sammlung von Musterbriefen, die jedoch mehr allgemein kulturgeschichtliches
als speziell Reichenauer Interesse haben1).

Nicht ohne historischen Wert ist auch die Visio Wettini2). Der Reichenauer Mönch
Wetti, der Verfasser der älteren, uns erhaltenen Vita St. Galli3), geriet kurz vor seinem Tode (824)
in eine Verzückung, wobei er durch Himmel und Hölle geführt zu werden wähnte. Heito, der
Abt, zeichnete seine Aussagen auf. Dem Ereignis wohnte auch Walahfrid bei, den man Strabo
nannte. Er war ein Zögling der Klosterschule, kaum 18 Jahre alt; doch machte er sich daran,
die Gesichte des Wetti, ausführlicher als Heito, in Versen zu erzählen. Es ist eine Abrechnung
über das erste Jahrhundert des Klosters. Ohem kannte die Visio und beabsichtigte, sie am Ende
seiner Chronik in Ubersetzung beizufügen, was unterblieb4).

Walahfrid ging bald nachher zu Hrabanus Maurus nach Fulda; von hier wurde er als
Erzieher des jungen Karl an den kaiserlichen Hof nach Aachen berufen. Im Jahre 842 erhielt
er dann die Abtei Reichenau, die er bis zu seinem allzu frühen Tode regierte; auf einer Gesandt-
schaftsreise ins Frankenreich verunglückte er [18. Aug. 849]. Unter seinen zahlreichen prosaischen
und poetischen Werken5) finden sich auch historische Arbeiten; aber Walahfrid nahm wesentlich
formales Interesse an denselben; er bearbeitete auch die alte Vita St. GalliIJ), teilte Einhards Vita
Caroli in Kapitel und schrieb eine Einleitung dazu mit Nachrichten über Einhards Leben7). Nur
aus einer Ode Walahfrids wissen wir außerdem von der Übertragung des hl. Januarius nach der
Reichenau durch Kaiser Lothar8).

Translationen wurden sonst mit großem Eifer sogleich in erbaulicher Weise verwertet. Im
IX. und X. Jahrhundert bildeten sie sogar den wichtigsten litterarischen Stoff in der Reichenau.
Noch unter Abt Erlebald zeichnete ein Mönch des Klosters die Translatio et miracula S. Genesii
auf. Graf Scrot hatte die Reliquien in das Kloster Schinen, welches später an die Reichenau kam,
gebracht. Wattenbach hat dieses Denkmal zuerst herausgegeben und in einer Einleitung auf die
Bedeutung der in diesen Translationen zum Ausdruck kommenden Beziehungen zu Italien für
künstlerische und litterarische Dinge hingewiesen9). Unzweifelhaft liegt aber auch in solchen Be-
obachtungen der wesentlichste Wert dieser Quellen; der geringe historische Gehalt ist wegen der
oft unentwirrbaren Verflechtung von Wahrheit, Deutung und Legende nur sehr schwer heraus-
zuarbeiten .

Bezüglich der Namen herrscht unter den Reichenauer Heiligen eine arge Verwirrung. Watten-
bach vermutet, daß aus dem Genesius und Eugenius jener Translatio die in den Mir. St. Marci
erwähnten Senesius und Theopompus geworden seien10). Schwieriger noch ist die Klärung der

!) MG. Formulae p. 339. Collectio C. — Ein deutsch-lateinisches Glossar hat Mone [Anz. f. Kde. d. d. Vor-
zeit VIII, 392] aus der Reichenauer B>- 13 abgedruckt.

2) Visio Wettini von Heito, Poet. lat. II, p. 267, von Walahfrid ib. 301. Wattenbach I, 261 schließt der
Erwähnung jener den Abdruck einer kurzen Visio cuiusdam pauperculae midieris an, die für die Klostergeschichte
nichts enthält.

3) Wattenbach I, 113.

4) S. unten p. 49, 18, 28.

5) Migne, Patrologia. C. lat. CXIII. CXIV; Poetae latini II, 259 ff. Vergl. Öhem 50, 24.

6) Neue Ausgabe, St. Gall. Mitteil. 24.

7) Wattenbach I, 176.

8) Poet. lat. II, 415. Über die Pilgerreise eines klassisch gebildeten Reichenauer Mönchs nach Italien, so-
wie über Ermenrich von Ellwangen vgl. Wattenbach II, 264 ff.

-») Zs. ORh. XXIV, 1.

10) Geschichtsquellen I, 263, 268. A^ergl. auch Mone I, 61.

B *
 
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