Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Braun, Emil
Antike Marmorwerke: 1. u. 2. Decade — Leipzig, 1843

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4847#0015
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


1. Athene Agoraia.

Die Statue der Athene, von welcher ich auf Tafel 1 eine Abbildung vorlege, zeichnet sich durch
glückliche Erhaltung vortheilhaft aus: mit Ausnahme der Arme sind alle anderen Theile unversehrt
geblieben. Chirac hat in seiner reichen Galerie antiker Statuen auch viele Minervenbilder zusammen-
gestellt. Unter diesen ist keines, welches unserem Marmor genau entspräche. Es liefert dieser also
Wol in jedem Falle einige neue Motive, vielleicht selbst eine eigenthümliche Fassung der Gottheit.

Die hehre Tochter des Zeus tritt uns in faltenreichem, langherabwallendem Chiton entgegen.
Ein schmaler Gürtel hält ihn über den Hüften zusammen. Die Aegis hängt von der rechten Schulter
quer über die Brust herab. Dieses Motiv, welches allezeit eine sehr anmuthige malerische Wirkung
gewährt, ist bei Minervenstatuen eben nicht selten. Die römischen Museen liefern mehrere Beispiele,
andere finden sich bei Chirac. Der Eindruck, den diese Anordnung des Gorgonenpanzers macht, ist
eher friedlich als wehrhaft. Damit stimmt in unserer Statue die übrige Haltung der Figur. Der
Helm selbst gleicht eher einem Hauptschmuck als einem Waffenstück. Leicht ruht er auf der Locken-
fülle des Götterhauptes.

Unter den Minervenbildern mit nachlässig umgehangener, nicht fest anliegender Aegis zeichne
ich die von Francesco Inghirami (Ragionamento accademico sopra uri idoletto dl Minerva in bronzo.
Gionude Arcadko, XXXIV, 1827, p. 338—343) herausgegebene Bronze aus, welche die Athene auf
diese Weise darstellt, in der Rechten den Speer, mit der Linken eine Olivenfrucht an die Brust drückend.
Was dieses Symbol hier besage, weiss ich vor der Hand nicht. Friedlichen Sinnes scheint es indessen
zu sein. Vergleiche fehlen; denn ähnliche Attribute sind meist abhanden gekommen. Als Besitzer
dieses merkwürdigen Bronzefigürchens wurde Giuseppe Terreni in Livorno genannt, der es aus Gross-
griechenland erhalten haben soll.

Um zu unserer Statue zurückzukehren, so entspricht die von uns angenommene Bedeutung der
eigenthümlich angeordneten Aegis sehr wohl dem Gesammteindruck, welchen wir von dem Marmor
erhalten. Die Göttin erscheint hier weder in jener starren Erhabenheit, die so vielen Minervenbildern
eigen ist, noch tritt sie mit der Energie ihres Wesens auf, welche eine Theilnahme an den Werken
des Ares bekundet. Ganz im Gegentheil zeigt sie mehr als sonst wol eine gewisse Milde der Bewe-
gung, mit der sie in die Angelegenheiten der Sterblichen einschreitet. Den oft gebrauchten, häufig
auch misbrauchten Beinamen einer Pacifera möchte ich nicht auf sie anwenden. Theils fehlen dazu
entscheidende Attribute, theils sagt derselbe auch zu wenig. Ich schlage vor, sie Agoraia zu nennen,
weil ihr Anblick in der That den Gedanken rege macht, als habe sie der Künstler mit den Kämpfen
der Rede, mit dem Wechselglück der Dialektik in jene nächste Beziehung setzen wollen, in welcher
sich die Göttin befindet als Beschützerin der Volksversammlungen. Mit jener Sicherheit des Blicks,
welche die Göttlichkeit des Genies über jeden Gedankenconflict erhaben hinstellt, steht sie da, den
Augenblick bewachend, wo aus dem Kampfe der Meinungen die ewige Wahrheit hervortaucht.

Einen Moment dieser Art vergegenwärtigt nach meinem Gefühl das mir deshalb besonders werthe
Marmorbild. Die Conception desselben mag einer glücklichen Kunstepoche angehören. Gleiches lässt
sich von der Ausführung nicht rühmen, die von dem Vorwurf einer gewissen Trockenheit nicht frei-
gesprochen werden kann. Sie scheint einem handfertigen Bildhauer anvertraut gewesen zu sein, wel-
cher sie vielleicht zu Decorationszwecken nach einem besseren Vorbilde copiite.

Gegenwärtig befindet sich dieser Marmor im Palast Stoppani-Vidoni, nahe bei der Kirche
S. Andrea della Valle. Die Verhältnisse desselben sind lebensgross.

1
 
Annotationen