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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 1): Bewegungsapparat — Berlin, Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.15149#0138
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Varietäten der Wirbelsäule.

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Sie besteht häufig halbseitig (lumbosakraler Übergangswirbel, Abb. 70) und
ist oft der Anlaß zu skoliotischen Verkrümmungen der ganzen Wirbelsäule.
Die Anlage ist sehr früh in der Entwicklung an dem Zurückbleiben des kostalen
Knochenkerns zu erkennen (Abb. 76, linke Körperseite).

Die Zahl der Wirbel, welche zum Kreuzbein verschmelzen, kann durch
Zuwachs oder Verlust am vorderen Ende vermehrt oder vermindert sein (das
sechswirbelige Kreuzbein ist bei Männern häufiger als bei Frauen; das vier-
wirbelige ist sehr viel seltener).

Doch kann auch die typische Fünfzahl gewahrt bleiben, weil ein ebenso

starker Verlust oder Zuwachs am sakrokokzygealen Ende stattfindet. Die

bis zu 35,5% der Fälle gefundene Vermehrung der Kreuzbeinwirbel auf 6 ist

auf die Variabilität beider Enden, der Lenden- und Steißgrenze, zu beziehen.

Es gibt auch sakrokokzygeale Übergangswirbel.

Bei Defekt eines Kreuzbeinflügels (einseitige Unterdrückung der kostalen
Komponente) wird das Becken asymmetrisch verengt; bei Mangel beider Kreuz-
beinflügel ist die Verengung hochgradiger, aber symme-
trisch (siehe Näheres beim Becken). verschmolzener Freier /w.

---i . . p . ---7- , . , -| y-sj -, . Proc. costariut Contimit* fItfterults)

Die stutenweise V erschiebung der Grenzen der ein-
zelnen Abschnitte der Wirbelsäule verläuft nach einer
bestimmten Begel. Drückt man die individuelle Ver-
teilung der Wirbel durch eine Formel aus (in welcher
cv zervikale, th thorakale, 1 lumbale, s sakrale, cc kok-
zygeale Wirbel bezeichnet), so ergeben sich folgende
vier Hauptstufen:

I. 1—7 cv, 8—21 th. 22—26 1, 27—31 s, 32—35 cc,

II. 1—7 cv, 8—20 th, 21—25 1, 26—30 s, 31—34 cc,

III. 1—7 cv, 8—19 th, 20—24 1, 25—29 s, 30—33 cc,

IV. 1—7 cv, 8—18 th, 19—23 1, 24—28 s, 29—32 cc.

Die Hauptstufen sind so ausgewählt, daß die Zahl
der Kokzygealwirbel (4 cc) gewahrt ist, und daß trotz-
dem die Gesamtzahl der Wirbel abnimmt (von 35 auf 32).
Das ist nur scheinbar ein Widerspruch zu dem auf A1),)- L«i»bosal;raier
S. 123 Gesagten; denn die Zahl der Steißwirbel wird 1 bergangawirbel.

nur dadurch aufrecht erhalten, daß jeweils vorn ein

Sakral wir bei für den hinten ausscheidenden Kokzygealwirbel eintritt. Auch die Zahl
der Kreuz- und Lendenwirbel (5 s, 51) ist in dieser Auswahl konstant. Die allmäh-
liche Abnahme der Gesamtzahl äußert sich in einem sukzessiven Ausscheiden letzter
Brustwirbel (21—19 th). Die Stufe III entspricht der Norm, das seltene Objekt
der Abb. 76 steht Stufe I sehr nahe. Für Stufe II liegen zahlreiche Beobachtungen
vor, auch Zwischenstufen zwischen III und IV sind bekannt, die IV sehr nahe
kommen, für IV selbst liegt aber noch keine Beobachtung vor. Von Halsrippen
ist bei dieser Betrachtung abgesehen. Deshalb erscheint die Zahl der Halswirbel
auf allen Stufen konstant (7 cv).

Aus der Häufigkeitsskala der Beobachtungen ergibt sich, daß meistens zwei Ver-
änderungen miteinander kombiniert auftreten, nämlich die Verschiebung der unteren
Thoraxgrenze nach oben und die Verschiebung des Beckens nach oben (kranial-
wärts). Die Wirbelsäule des Menschen hat die Tendenz, die Zahl ihrer Glieder vom
Ende her zu verringern. Die Kosten der Verminderung trägt wesentlich der untere
Thoraxabschnitt (Formel I—IV), der vom 21. bis annähernd zum 18. Segment ver-
drängt wird. Auf die ursächliche Beziehung zum aufrechten Gang wurde oben hin-
gewiesen.

Die Verminderung der Segmente ist keineswegs mit einer Verkürzung der
Gesamtwirbelsäule oder gar des ganzen Körpers identisch; denn durch Längenwachs-
tum der einzelnen Elemente kann die Verminderung der Zahl ausgeglichen werden.
Zahlreiche Wirbel sind beim Menschen ein atavistisches Merkmal, Körperlänge ist
dagegen ein progressives Merkmal. Bei Menschenaffen (Orang) ist eine stärkere
Vorwanderung des Beckens gegen den Brustkorb eingetreten als beim Menschen;
daraus resultiert die plumpe Körperhaltung, der Mangel an „Taille".

Der Schwanz wird bei allen Affen, welche gehen können oder hängen, rück-
gebildet. Denn er hat nur Bedeutung als Steuer oder als Gegengewicht beim
Springen und als Greiforgan beim Klettern. Da nicht feststeht, wie die Lage des
Beckens war, a?.a die Schwanzwirbelsäule bei den Vorfahren des Menschen in Verlust
 
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