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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0151
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HI. Die griechische Kunst in ihrer höchsten geistigen Entwickelang.

147

als eine Bestätigung derselben deuten lassen: wir meinen, was Lucian über die
Lemnische Athene und über die Amazone des Phidias bemerkt. An der ersteren
rühmt er1) den Umriss des ganzen Gesichtes, das Zarte der Wangen und das
symmetrische Verhältniss der Nase. Um nun aus dem Lobe der Theile einen
Schluss auf den Charakter des Ganzen zu machen, wird es nicht überflüssig
sein, zu erinnern, dass die Lemnierin ein Werk aus Erz war, einem Stoffe, der
eine wesentlich andere Behandlung der Form, als z. B. der Marmor bedingt.
Das Erz verlangt Weichheit und Fülle in geringerem Maasse, als sie im Marmor
erreichbar ist, vermag aber dagegen die Form schärfer und bestimmter und zu
grösserer Feinheit durchzubilden, etwa wie der Kupferstich in der Feinheit der
Linien den Steindruck zu überbieten vermag. Auf eine solche Behandlung aber
lässt sich namentlich das Lob der Wangen deuten. Der Ausdruck KTraXov wird 209
z- B. von Homer auf die Haut des Halses unter dem Kinn, auf die Haut in der
Hand eines Freiers angewendet, welche den Bogen zu spannen ausser Stande
ist. Audi bei der Lemnierin werden wir daher nicht sowohl von Weichheit,
als von Zartheit der Wangen sprechen müssen. Von diesem Lobe aber lässt
sich, dem Wesen der Formenbildung gemäss, das andere kaum trennen. Die
Nase, gerade zwischen den Wangen, der Umriss, durch welchen diese um-
schrieben werden, müssen natürlich diesen Charakter der Zartheit theilen. Ver-
gleichen wir nun aber damit den Ausspruch des Himerius: Phidias habe Rothe
aber die Wangen der Göttin ausgegossen, sowie das in den früher erwähnten
Epigrammen enthaltene Lob, so muss sich uns die Ueberzeugung aufdrängen,
dass auch hier wieder die Zartheit und Feinheit der Bildung einem höheren,
als einem bloss sinnlichen Zwecke dient und vorzugsweise darauf berechnet ist,
die geistige Schönheit, den milden Adel der jungfräulichen Göttin recht ein-
dringlich fühlbar zu machen. — Einer ähnlichen Deutung unterwerfe ich denn
endlich auch das Lob, welches Lucian2) der Amazone des Phidias spendet.
Die Bildung des Mundes (oröitaTug a^Jtoyjj) und der Nacken mögen an sich un-
nachahmlich gewesen sein. Aber vergessen dürfen wir nicht, dass sich gerade
irn Munde der Charakter der Festigkeit, des Muthes ausprägt, dass auf der Bil-
dung des Nackens auch die ganze Haltung des Kopfes beruht, in welcher sich
ebenfalls die kriegerische Befähigung der Amazone aussprechen musste. Das
Loh dieser Theile scheint also auch hier in seinem letzten Grunde dadurch be-
dingt, dass in ihnen der Gedanke, die Idee des Künstlers mit besonderer Schärfe
und Präcision körperliche Gestalt und Form angenommen hatte.

Doch genug der Erörterungen, die uns immer nur wieder auf einen und
denselben Punkt zurückführen. Ist dieser Umstand, wie wir hoffen, nicht die
*olge einer einseitigen Auffassung, so liegt vielleicht in demselben sogar eine
Gewähr dafür, dass in der Forschung der richtige Weg eingeschlagen wurde.
Thürieht zwar wäre es zu glauben, dass in wenigen Sätzen die ganze Erhaben-
heit des künstlerischen Genius eines Phidias sich ergründen lasse. Wie einmal 210
Unser jetziges Wissen beschaffen ist, bleibt dieses eine Aufgabe, deren Lösung
m ihrem vollen Umfange wohl niemand zu unternehmen wagt, so wenig als

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