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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0366
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362

Die Bildhauer.

Theile der unterscheidende Charakter dieser Periode der Kunst. Denn indem
wir uns bei der Beschauung eines Kunstwerkes neben dem, was uns dasselbe
an sich darbietet, auch noch der Person des Künstlers erinnern sollen, geht
uns jener Eindruck der Unmittelbarkeit verloren, welchen wir als das Kenn-
zeichen der Werke früherer Perioden erkannt haben. Wir finden nicht mehr
eine Schöpfung, welche mit einer inneren Notwendigkeit, wie aus sich selbst,
aus ihrer Grundidee herausgewachsen erscheint, sondern etwas durch Kunst,
sei es auch mit noch so feinfühlendem Sinne Gemachtes. — Erinnern wir uns
jedoch an die Gefahren, welche der Kunst um das Ende der vorigen Periode
drohten, an die rein äusserliche und sinnliche Auffassung der Natur, welche zu
völliger Ausartung führen zu müssen schien, so können wir dem, was die vor-
liegende Periode geleistet, nicht nur unsere Anerkennung nicht versagen, sondern
müssen sogar unsere Bewunderung darüber aussprechen, mit wie sicherer Hand
man durch die läuternde Thätigkeit einer reflectirenden Kritik der Entwickelung
jener verderblichen Keime Einhalt zu thun verstand, ohne doch dadurch in eine
blinde, nach blosser Restauration der Vergangenheit trachtende Reaction zu
verfallen. Wohl scheint man auf einzelnen Gebieten, namentlich dem der eigent-
lich religiösen Kunst, freiwillig auf Selbständigkeit verzichtet und sich eng
an das Alte angeschlossen zu haben, indem man fühlte, dass, um es durch
519 Neues zu ersetzen, der natürliche Sinn verloren gegangen war. Ueberall aber,
wo die neue Zeit neue Ansprüche geltend macht, befriedigt dieselben die Kunst
in durchaus originaler, selbständiger Weise; und je höher der Reichthum und
der Glanz des Lebens steigen', um so höher spannt auch die Kunst alle ihre
Kräfte, um durch dieselben Eigenschaften aucli auf dem Felde ihrer Thätigkeit
alles Frühere zu überbieten. So gelangte man in der That an das Ziel, bis zu
welchem vorzudringen der berechnenden Schärfe des menschlichen Geistes über-
haupt möglich war, ohne in willkürliche Manier und barocke Phantasterei zu ver-
fallen. Ob die Kunst im Stande gewesen sein würde, sich lange auf dieser Grenz-
linie zu erhalten, wird niemand leicht zu entscheiden wagen. Die Geschichte
selbst giebt uns keine Antwort darüber. Denn am Ende dieser Periode verliert
Griechenland seine Unabhängigkeit vollständig, und eben so fallen nach und
nach die Königreiche, in welchen griechisches Leben Eingang gefunden hatte,
durch ein unabänderliches Geschick der erobernden Weltmacht Rom zum Opfer.
Zwar fand nun die Kunst an dem Sieger einen neuen Beschützer. Aber auf
einen fremden Boden verpflanzt, konnte sie natürlich in ihrer weiteren Ent-
wickelung nicht ununterbrochen fortschreiten, sondern musste zunächst den be-
sonderen Verhältnissen ihrer neuen Umgebung gerecht zu werden sich bestreben.

Anhang.

Der Untergang der politischen Selbständigkeit Griechenlands bildet in
der Geschichte der Kunst hauptsächlich darum einen scharfen Abschnitt, weil
mit ihm der hervorragendste Theil der Kunstübung aus dem Heimathlande der
Künstler nach Italien übersiedelt. In Griechenland selbst finden wir aus der
nachfolgenden Zeit fast nur einige Inschriften wenig bekannter Künstler. Die
 
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