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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0435
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VI. Die griechische Kunst zur Zeit der römischen Herrschaft.

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auf das sehen, was auf demselben erreicht ist. und es wird sicli zeigen, dass 618
die Grenzen unserer Aufgabe keineswegs überschritten worden sind. Eine
grössere Ausführlichkeit war nothwendig, selbst um nur die ersten und noth-
wendigsten Gesichtspunke aufzustellen, mit deren Hülfe die rein kunstgeschicht-
liche Forschung es unternehmen möge, theils in der Masse erhaltener Kunst-
werke Gleichartiges zusammenzuordnen, theils den Verlauf der Entwickelungen
vollständiger und umfassender aus den Denkmälern selbst darzustellen. Diesen
Versuch schon jetzt zu wagen und ein abgeschlossenes Bild der griechischen
Kunst in Rom auch nur in allgemeinen Umrissen zu entwerfen, müssen wir
bei den geringen Mitteln, die wir hier benutzen dürfen, uns versagen. Wir
kennen eben nur die Ausgangspunkte der ganzen Entwickelung.

Anfangs nahm Rom, wie schon bemerkt ward, das Fremde in seinen ver-
schiedenen Gestalten auf, ohne selbständige Anforderungen zu stellen. In der
Heimath der einwandernden Künstler lebte die alte [Überlieferung zum Theil
noch fort und sie brachten daher ihre eigene vaterländische Kunst nach Rom.
Je länger sie aber dort in Ansprach genommen wurden, und je mehr sich dort
nach und nach besondere künstlerische Bedürfnisse geltend machten, um so
weniger vermochten sie den eigenthümlichen, auf der Natur der Heimath beruhen-
den Charakter ihrer Kunst in seiner Reinheit auf die Länge festzuhalten.
Der so eingeleitete Auflösungsprocess aber musste durch den Zusammenfluss
der verschiedenartigsten Richtungen in Rom nur beschleunigt werden. Denn
wenn auch in dem dadurch bedingten Wetteifer die Gegensätze zuweilen um
so schärfer hervortreten mochten, so konnte doch nach und nach eine Wechsel-
wirkung nicht ausbleiben. Für das Gedeihen einer eigentümlich römischen
Kunst wirkte dieses Abschleifen des schärferen Charakters der einzelnen Schulen
wahrscheinlich vortlieilhaft: die Werke namentlich aus der Zeit des Trajan
können den Beweis dafür liefern. Aber bei dem Mangel eines tieferen Kunst-
sinnes in der Gesammlheit des römischen Volkes, bei der mit gewaltigen
Schritten hereinbrechenden Auflösung aller Ordnungen des Staates konnten auch
diese mehr nationalen Bestrebungen die allmählige Verflächung und endlich den
vollständigen Verfall nicht aufhalten. So ist, was wir aus der Geschichte der
Künstler kennen lernen, eigentlich nur eine Nachblüthe der reih griechischen 619
Kunst, welche aber, mehr künstlich durch den Reichthum Roms gepflegt, als
auf natürlichem Boden erzeugt, bald dahinwelken und ganz untergehen musste,
um endlich noch in ihrem Untergange den Boden für die ganz neuen Gestal-
tungen späterer Zeiten bereiten zu helfen.

Wie anders sich unser Urtheil über diese Nachblüthe gestalten musste,
als etwa zu den Zeiten Winckelmann's, ist bereits früher, bei Gelegenheit des
vaticaniseben Heraklestorso und des farnesischen Herakles, mit hinlänglicher
Bestimmtheit angedeutet worden. Ueberall mussten wir darauf hinweisen, wie
gerade in allen höheren künstlerischen Beziehungen, im poetischen Schaffen
sowohl, als in der ganzen Auffassung der Form, sich die Kunst dieser Zeit ent-
weder durchaus an die älteren, glänzenderen Perioden anlehnte, oder, wo sie
selbständig aufzutreten strebte, sich vergeblich anstrengte, die frühere Vortreff-
lichkeit zu erreichen, bis sie endlich immer mehr zu handwerksnnlssigem Be-
triebe herabsank, und die etwa noch übrig bleibende materielle Tüchtigkeit der
 
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