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Burckhardt, Jacob; Dürr, Emil [Editor]
Vorträge 1844 - 1887 — Basel, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.30685#0055
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doch in so manchem Betracht durch ihren Glanz blendet. Während
festdatierte Kunstwerke der trajanischen Zeit noch dem Herrlichsten
nahe stehen, sagt Dio doch z. B. von der Poesie: das meiste ist alt und
von viel weiseren Leuten als die Zeitgenossen sind. Die Ereignisse der
nähern Vergangenheit nennt er modern und ruhmlos. Auch an schweren
Klagen über die Auflösung der Sitte läßt er es nicht fehlen, wobei man
im Zweifel darüber bleiben mag, ob noch der Stoiker oder schon mehr
der Moralist im Sinne der spätern Philosophen aus ihm redet. Allein
bei näherer Betrachtung findet man, daß Dio nicht nur gegen seine Zeit,
sondern gegen das ganze Dasein iiberwiegend pessimistisch gestimmt ers
scheint. Zwar stellt er in der 30. Rede die beiden Weltanschauungen, die
pessimistische und dann die optimistische nebeneinander, ohne irgend
welche Vermittlung oder abschließendes Urteil. Sein sterbender Schüler
Charidemos diktiert einem Sklaven, wie in einer Verzückung, äxmsp
£v&ooau7)v, zuerst seine direkte Ueberzeugung in die Feder; es ist eine An-
sicht ähnlich derjenigen der indischen Religionen, der brahmanischen wie
der buddhistischen, welche sich dann bei Empedokles und Pythagoras
wiederfindet: „wir Menschen sind von Titanengeblüt, und daher den
Göttern nicht lieb; wir werden von ihnen gezüchtigt und sind zur Strafe
geboren; unser Leben ist ja eine Haft und, was wir y.oapog, nennen, nur
ein von den Göttern erschaffener erstickender Kerker voller Züchtigs
ungen. Unsere beiden Marterknechte, Leib und Seele, sind wir selbst,
jener mit seinen Krankheiten, diese mit ihren Schmerzen und Leidem
schaften.“ Nach weiterer trostloser Ausführung dieses Bildes fährt
jedoch der Sterbende fort: es gebe auch eine bessere Rede, welche er
einst von einem Ackersmann in ländlichem Rhythmus und Ton habe
singen hören. Und nun folgt der Preis der Güte der Götter gegen die
Menschen, welche ja ihres Geschlechtes seien; es folgt die von der Stoa
ausgegangene, hier volkstümlich umgebildete Lehre vom y.oapog als
einem schönen, durch die Götter hergerichteten Hause zur festlichen
Erfreuung der Menschen. Allein bei andern Anlässen, wo Dio in eigenem
Namen spricht, am Schluß der 69. und vorzüglich in der 74. Rede (jzspl
äTicaviag) wird vor der ganzen konkreten Menschheit in wahrhaft
düstern Ausdrücken gewarnt. Mehr als einmal in seinen Städtereden
frägt er am Anfang, warum man einen Mann nicht in Ruhe, in seinem
Incognito lasse, der da sehe und erkenne, wie viel Unerfreulich.es und
Schreckliches in der üppigen und trugvollen Welt vorhanden sei? An®
genehme Reden möchten die Leute allenfalls von solchen erwarten.

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