Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verlag Bruno Cassirer
Almanach: auf das Jahr ... — 1920

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.70232#0120
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZWEI BRIEFE CHRISTIAN MORGENSTERNS

Lieber Herr C.
Sie müssen mir nun auch den Widergefallen tun, da-
für, daß ich mich in der Auswahl der Geschichte sehr
habe von Ihnen lenken lassen, Ihnen und mir das e in Me-
lancolia wiedergeben. Melancolia ist einfach unerträg-
lich, es wirkt sentimental, es hat keine Entfernung. An
Dürer werden die wenigsten denken. Melencolia frap-
piert wenigstens, mögen die einen an einen Druckfehler
glauben (was aber doch nur bei den Gedankenlosesten
geschehen wird), mögen die andern es für eine Ma-
rotte halten, Dürer in einem (etwaigen) Fehler zu ko-
pieren. Das Denken an einen Druckfehler wie das an
eine Schrullenhaftigkeit, ja selbst Geziertheit ziehe ich
durchaus dem sentimentalen Mitschwingen vor. Sie
müssen durchaus fühlen, daß ich hier wenn auch etwas
diffizil, so doch ganz richtig empfinde. Die Stimmung
des Dürerschen Stiches, der Blick des dort auf dem
Domdache sitzenden Weibes ist’s, woran ich leise er-
innern möchte. Bei Melanc ... geht alles gleich in die
Brüche, Melancholie an Laura fällt einem ein, kurz-
weg mehr der romantische Sinn des Worts. —
Obermais bei Meran, Villa Kirchlechner.
Mitte Sept. 06.
Lieber . . .
Vom Verlag Cassirer gebeten, die Korrekturen Ihres
Romans „Geschwister Tanner“ mitzulesen, nehme ich
mir die Freiheit heraus, diese verhältnismäßig passive
Tätigkeit ein wenig aktiver zu gestalten. Und ich
 
Annotationen