Chr. Morgenstern: Briefe j j 5
habe ein so unmittelbares, aufrichtiges Interesse an Ihnen
und Ihrer Schriftstellerei, daß Sie’s mir gewiß nicht
verübeln werden, wenn ich mir erlaube, Bogen für Bogen
mit kleinen Bemerkungen zu begleiten, Bemerkungen,
die sich natürlicherweise vornehmlich nur auf sprach-
liche Dinge beziehen werden. Ich glaube Sie um so
weniger zu kränken, als Sie Herrn Cassirer selbst ge-
standen haben, es sei Ihnen persönlich unmöglich, an
der Sache herumzufeilen, aber schließlich recht, wenn
ein anderer dies durchaus tun wolle. Es würde mir nun
ein besonderes Vergnügen sein, Sie durch den Charakter
besagter Bemerkungen von Ihrem Widerwillen gegen
diese künstlerische Nacharbeit, die bei Ihrer Art zu ar-
beiten doppelt notwendig erscheint, einigermaßen zu
heilen. Ich will damit beginnen, Ihnen mitzuteilen,
was ich bei Lesung des ersten Bogens ungefähr empfand,
— wobei Sie wissen müssen, daß ich bei Anfang jeder
neuen Lektion vor allem die sprachliche Seite ins Auge
fasse, indem sie mir fast immer den stärksten Aufschluß
über den Autor gibt — sosehr ich dann auch später oft
einlenke, ja widerrufe. Also: der Anfang Ihrer Arbeit
machte auf mich, aus dem Privatgebiet des Handschrift-
lichen in die Öffentlichkeit des Drucks gerückt, einen
schlechten Eindruck. Ich sah (wie immer) zunächst
nur die Untugenden Ihres Stils, das ohne Not Weit-
schweifige, das Saloppe des Satzbaus, die zur Trivialität
führende Selbstgefälligkeit, die grammatikalische Un-
Sicherheit, die Schiefe und mangelhafte Durchführung
eines oder des andern gewählten Bildes. Richten Sie
auf diese Punkte Ihr Augenmerk, und zwar, wenn
nicht während des Schreibens, so unbedingt nach der ersten
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habe ein so unmittelbares, aufrichtiges Interesse an Ihnen
und Ihrer Schriftstellerei, daß Sie’s mir gewiß nicht
verübeln werden, wenn ich mir erlaube, Bogen für Bogen
mit kleinen Bemerkungen zu begleiten, Bemerkungen,
die sich natürlicherweise vornehmlich nur auf sprach-
liche Dinge beziehen werden. Ich glaube Sie um so
weniger zu kränken, als Sie Herrn Cassirer selbst ge-
standen haben, es sei Ihnen persönlich unmöglich, an
der Sache herumzufeilen, aber schließlich recht, wenn
ein anderer dies durchaus tun wolle. Es würde mir nun
ein besonderes Vergnügen sein, Sie durch den Charakter
besagter Bemerkungen von Ihrem Widerwillen gegen
diese künstlerische Nacharbeit, die bei Ihrer Art zu ar-
beiten doppelt notwendig erscheint, einigermaßen zu
heilen. Ich will damit beginnen, Ihnen mitzuteilen,
was ich bei Lesung des ersten Bogens ungefähr empfand,
— wobei Sie wissen müssen, daß ich bei Anfang jeder
neuen Lektion vor allem die sprachliche Seite ins Auge
fasse, indem sie mir fast immer den stärksten Aufschluß
über den Autor gibt — sosehr ich dann auch später oft
einlenke, ja widerrufe. Also: der Anfang Ihrer Arbeit
machte auf mich, aus dem Privatgebiet des Handschrift-
lichen in die Öffentlichkeit des Drucks gerückt, einen
schlechten Eindruck. Ich sah (wie immer) zunächst
nur die Untugenden Ihres Stils, das ohne Not Weit-
schweifige, das Saloppe des Satzbaus, die zur Trivialität
führende Selbstgefälligkeit, die grammatikalische Un-
Sicherheit, die Schiefe und mangelhafte Durchführung
eines oder des andern gewählten Bildes. Richten Sie
auf diese Punkte Ihr Augenmerk, und zwar, wenn
nicht während des Schreibens, so unbedingt nach der ersten
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