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Charis: rhein. Morgenzeitung für gebildete Leser (4) — 1824

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No 144-157 (Dezember 1824)
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Nachrichten uͤber Kunſt, Leben und Wiſſenſchaft.

22222 —44— — — — — — :vJ —— — —— —8

Chronik der Großh. Schaubühne zu Mannheim.

Dienſtag den 23. November 1824: „Das Leben ein Traum.“
Romantiſches Schauſpiel in 5 Abtheilungen, nach Cal-
deron, von Weſt. (Siehe Nr. 23, 1821. Nr. 50, 1822.
Nr. 68, 1823. Nr. 3 u. 31, 1824.)
Wir haben über dieſes Stück ſo oft geſprochen, daß wir uns heute
blos auf einige Worte über unſern Gaſt: Herrn Jerrmann vom Leipziger
Theater, der als Roderich auftrat, beſchränken zu können glauben
dürfen. Daß Herr Jerrmann nicht ohne Talent iſt und ſeine Rolle
ſtudirt, daß heißt ſich eine konſequente Charaͤkteriſtik der Perſon ent-
wirft die er vorſtellen will, bewies uns nicht nur die ganze Darſtellung
dieſes halbverwilderten, in ſeinen erſten Impulſen zügelloſen, doch
aber zugleich wiſſenſchaftlich gebildeten, reflektirenden Königsſohnes,
beſonders aber der ganze erſte Akt im Kerker, der ſehr brav von ihm
gegeben wurde, unumſtößlich. Eben ſo gewiß aber ſcheint es mir zu
ſeyn, daß ſich Herr Jerrmann noch allzuſehr von ſeiner Leidenſchaft-
lichkeit hinreißen läßt, meiſt allzu grell aufträgt, und noch nicht die
gehörige Darſtellungsgabe erlangt hat ſein geſchaffenes Gebilde von
eigner Individualität zu trennen, um ſolches mit der ſchönbildlichen
Form der äußern Geberdenſprache und Aktion in Harmonie zu

bringen; woher es denn auch wohl kommen mag, daß Herr Jerrmann

manche Momente auf die äußerſte Spitze der tragiſchen Kunſt ſtellt,
bei welcher Wagniß er aber Gefahr läuft, leicht in das Gebiet des
Lächerlichen überzugehen, indem er die dazu nöthige Voliendung
und Verſchmelzung des Effekts mit der Plaſtik noch nicht in ſeiner
Gewalt hat. Eben ſo nachtheilig iſt jungen Künſtlern das Streben
nach Univerſalismus. Dieſer läuft ſchnurſtracks aller Identität entgegen,
und hat zur Folge, daß man in allen Fächern mittelmäßig bleibt, da
man doch in einem hätte bedeutend werden können. Immer aber
werden mir ſelbſt die mißlungenen Verſuche eines denkenden Darſtellers,
aus dem doch etwas Großes werden kann, lieber ſeyn, als die
Oberflachlichkeit und das gewöhnliche Treiben aller ſogenannten
abgeſchliffenen Routiniers, die nur für den Tagelohn arbeiten.
Donnerſtag den 25. November: „Axel und Walburg.“
Tragoͤdie in 5 Abtheilungen, von Oehlenſchlaͤger. (Siehe
Nr. 112 d. J.)
Herr Jerrmann — König Hakon — zweite Gaſtrolle.
Freitag den 26. November: „Don Juan.“ Große roman-
tiſche Oper in 2 Abtheilungen; Muſik von Mozart. (S.
Nr. 24, 1821. Nr. 96 u. 1041, 1822. Nr. 41 u. 72, 1823.
Nr. 58, 82 und 105, 1824.)
Herr Grua d. ä. hatte zu ſeinem Benefiz „den Spiegel von Arkadien“
gewählt, der ihm gewiß, weil er ſeit einer Reihe von Jahren, ich
glaube ſeit 1813, nicht gegeben worden, eine reichlichere Einnahme als
eine oft geſehene Oper gewährt haben würde. Wir müſſen daher
mit Recht ſeine Uneigennützigkeit und ſeinen Kunſtſinn loben, daß er,
eingetretner Hinderniſſe wegen, davon abſtrahirte und nicht allein
dieſes klaſſiſche Werk wählte, ſondern uns auch noch das Vergnügen
verſchaffte Mlle. Ludin als Donna Elvira, und Mad. Steinert als
Zerline zu ſehen und zu hören.
Sonntag den 28. November: Fauſt.“ Trauerſpiel in 5
Abtheilungen, von Auguſt Klingemann.
Herr Jerrmann — Fauſt — dritte und letzte Gaſtrolle. Ich konnte

mich nicht entſchließen dieſe empörende Raſerei, die jeder Sitte und
jedem Gefühl Hohn ſpricht, und von allen Repertoiren entfernt
werden ſollte, mit anzuſehen.

Dienſtag den 30. November: „Das Neuſonntagskind.“ Ko-—
miſche Oper in 2 Abtheilungen, von Perinet; Muſik von
Wenzl Müller. (Siehe Nr. 1½ u. 54, 1821. Nr. 67, 1822.

Nr. 18, 1824.
‚ Er lach.

22— 2—2 — — — — — —. — — ——...—.———.——58—

Das Frankfurter Quodlibet.

(Fortſetzung.)

Iffland zeichnete den Charakter des Kanzlers Fleſſel, in der neuen
Bearbeitung weit konſequenter. Dieſes faire bonne mine au mauvais
jen bis zum letzten Moment, war vorher ein: Vogel friß oder ſtirb!
— unnatthaft ſchon um deswillen, da dem Böſewicht noch der Heuchler
— in welcher Folie er durch alle Akte hindurch ſich feſthält — zu Gebote
ſtand, und der Dichter ihn gar nicht ohne Grund als einen Reinecke
Fuchs hinſtellt, der nicht eher ſich den Pelz der Heuchelei abziehen
läßt, als bis er den Strick um den Hals hat. —

Auch der Sekretär gewinnt in der neuen Bearbeitung; er hat ſich
das Dedain ſeines Princivals nicht hinter das Ohr, ſondern ins Herz
geſchrieben, kein Goetheſches

„Draußen iſt ein Schuß gefallen —“

zeigt ihn uns am Ende wieder als den treuen Spürhund ſeines Herrn!
— Dagegen war es uns lieb des Kanzlers Floskel: „Ich bin ein ehrlicher
Teutſcher“ und Ludwigs allzu leichtſinnigen Schwur: „Hol mich der
Teufel! ſo herzlich hat mich noch keine geliebt“ — nicht zu hören. —

Herr Weidner als Kanzler Fleſſel verlor viel durch dieſe radikale
Beibehaltung des alten Strücks. — So durchdringend in den erſten
Akten, dieſe kanzleriſche Bösartigkeit in des Künſtlers Darſtellung
zum hölliſchen Schaugericht für uns ward, ſo wenig waren wir in den
beiden letzten mit dem zufrieden, was den Dichter beſtimmte, die Entwick-
lung der Schurkenſtreiche des Kanzlers auf erwähnte Weiſe ans Licht zu
ſtellen. — Was der Kanzler in der Szene mit den Mündeln iſt, wo
er ſich ſelbſt demaskirt — iſt er ſonſt nirgends, und ſo wurde uns
auch das treffliche Spiel des Darſtellers nicht das, was es in der neuen
Bearbeitung geworden wäre.

Eben ſo wenig waren die Rollen der beiden Mündel gut zugetheilt:
Philipp Brock, Herrn Größer und Ludwig Brock, Herrn Rottmayer:
ſie ſtanden zu ihren Charakteren im umgekehrten Verhältniß. Herr
Rottmayer als Ludwig ſchien in der Unterredung mit Auguſte ſich in
Philiov verwandelt zu haben, freilich war das leichtfertige Teufel-
holen geſtrichen, oder ſteht nur in der neuen Bearbeitung — Ludwigs
leichtſinniger Charakter aber und beſonders die ſchmerzliche Aeußerung
Auguſtens erlauben keine ſolche ernſte Haltung, wie wir ſie heute
Abend und zumal an Herrn Rottmayer mit Erſtaunen erblickten. —
Herrn Größer gehörte dieſe Rolle, er iſt ganz der Mann für ſolche
leichte Flüchtlinge des Auflebens und Anſtrebens — und was Herr
Rottmayer als Philipp Brock geleiſtet haben würde — wir hätten es
ſicher nicht vergeſſen! — Drave, Fran und Tochter — Herr Otto,
Frau Ellmenreich und Jungfer Urſpruch — leiſteten was zu leiſten
war; eben ſo Rooſe, Herr Leißring und Herr Schutze als Sekſtär.
(Fortſetzung folgt.)

—— —* —
——=— —— — IIIIIJIJJ——IIIIIIIIIIIIII

Redakteur u. Herausgeber: Fr. K. Frhr. v. Erlach. — Verleger: K. Groos, Neue akad. Buchhandlung in Heidelberg.
Druckerei von F. Kaufmanns Witwe.
 
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