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einem seiner Freunde, je grauer seine Haare wären, desto grüner wür-
den seine Gedanken. Er versuchte sogar eine Zeit hindurch, seine Haare
schwarz zu färben, da er der Annahme war, dass er dadurch um min-
destens zwanzig Jahre jünger erscheine. Er war, wie in allen anderen
Dingen, auch in dieser Beziehung aufrichtig, aus seinen eigenen Briefen
wissen wir, dass ein er Haarfärbemittel benützt hat.
Der Alte verzehrte sein Abendbrot gern zusammen mit Tizian und der
ehemaligen Freundin Angela Zaffetta, für die er einst Lebensregeln aufge-
schrieben hatte, die alles andere eher als klösterlich waren. Auch Zaffetta
war alt geworden, aber Aretino versichert, dass er sie noch mehr als einst
liebe, namentlich seit der Zeit, wo sie an gefangen habe, enthaltsam zu leben.
Zu diesen freundschaftlichen Zusammenkünften kamen mehrere ernst-
hafte Männer wie der Podestä von Treviso, der Abt Vassallo, Mon-
signor de Serro, und die Bekannten schickten von überallher Wild und
Obst. Es verging kein Tag im Herbst, an dem Benedetto Cornaro, der
einen schönen Garten auf der Giudecca hatte, Aretino nicht mit vor-
trefflichen Pflaumen, Feigen und Pfirsichen beschenkt hätte; sein Obst
war so berühmt, dass der Fierzog von Urbino behauptete, es gäbe nichts
Saftigeres auf der Welt. Der florentinische Mediceer schickte Aretino
für seine Tafelrunde einst ausgezeichneten Wein aus Pesaro; der alte
Pietro lud auch Sansovino ein, damit er diesen unvergleichlichen Nek-
tar versuche. Als der Bildhauer sich wegen einer dringenden Arbeit zu
kommen weigerte, machte ihm Aretino Vorwürfe, weil er den berühm-
ten Wein des Herzogs verachte. Der Wein stähle die Kraft, wenn man
ihn mässig trinke, wecke den Appetit, erhöhe die Bluttätigkeit, röte
das Gesicht, mache das Auge hell, stärke den Magen, verbessere den
Schlaf, zerstreue trübe Gedanken. „Trinke Wasser, wenn dir’s Spass
macht,“ schalt Aretino, „die alten Griechen haben sich am Wein gelabt.“
Dieses Argument scheint gewirkt zu haben, Sansovino lud sich für einen
der nächsten Abende hei Aretino zu Gaste und brachte aus Pola, wo
er römische Säulen besah, einen Rehhock, eingemachte Früchte und
ausgezeichnete Fische mit, die mit einer dicken Sauce zubereitet wur-
den. Alessandro Vittoria, der Bildhauer, schickte Birnen aus Vicenza,
die ihresgleichen suchten. Während der Fasten kamen ganze Wagen-
ladungen von gestopften Truthähnen, da dieser Braten als das einzige
Fleisch galt, das man in der Fastenzeit essen durfte*).
*) In gewissen Wiener Kreisen hat sich bis heute der Brauch erhalten, am 2 4- De-
zember einen gebratenen Truthahn zu essen.
 
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