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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 2.1863

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https://doi.org/10.11588/diglit.6484#0025
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Chriſtliche

Kunſtblätter

Organ des chriſtlichen Knnſtvereins der Erdiöceſe Freiburg.

(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 19.

Domine diloxi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

Juli 1863.

J. Die Kreuzpartikel zu St. Crudpert.

Bildung der Augenwimper iſt geſchwungen und nach der Mitte
des den Augen gleichſtehenden Ohres geſenkt; das Augenlied
bis zur Pupille herabgehend; der Backenbart von einem Ohr
unter das glatte Kinn bis zum andern Ohr laufend; auch auf
der Oberlippe iſt ein Bart wahrzunehmen. Das geſcheitelte
Haupthaar, mit neun parallelen Abtheilungen, theilt ſich auf
den Achſeln in je zwei Locken. An den Händen ſind beide
Daumen eingebogen, die übrigen Finger, namentlich der Zeige-
finger, ungewöhnlich lang. Die Hände erſcheinen halbkreis-
förmig gekrümmt, das aus den Hand- und Fußwunden ſtrö-
mende Blut wird durch je vier Gravite angedeutet. Oberleib
und Arme ſind proportionirt gearbeitet mit dem offenbaren
Streben nach anatomiſcher Richtigkeit, wie ſie bei den Rippen,
dem Bruſtbeine und bei dem etwas hervortretenden Unterleibe
ſich zeigt; auch in der Haltung des ganzen Körpers, der in
ſich gebeugt, nach der rechten Seite hin etwas gravitirt, iſt
dieſes Streben bemerkbar. Die Füße ſchließen ſich von dem
Knie an eng an einander bis zur Ferſe; die beiden, ſeparat
angenagelten Fußſohlen ruhen auf zwei hervortretenden etwas
erhöhten, und der Haltung des Fußes ſchräg angepaßten Un-
terlagen. Das von den Hüften bis auf die Kniee herabfallende
Lendentuch wird zuſammengehalten durch einen Gürtel, der in
der Mitte einen künſtlichen Knoten bildet. Der obere Theil
des Tuches fällt auf beiden Seiten umgeſchlagen herab. Das
Lendentuch ſelbſt ſcheint aus einem reich gewirkten Stoffe ver-
fertigt zu ſein; die Quadrate, ans welchen derſelbe beſteht,
werden jedesmal überquer durch eine gevierte Abtheilung in
Segmente gebracht. An dem untern Ende des Tuches läuft
eine Borte herum. — Das Kreuzholz, an welchem der Herr
ausgeſpannt iſt, ſcheint mit einer ſchuppenförmigen Rinde
bedeckt, aus welcher auf beiden Seiten mehrere, an dem obern
Ende abgehauene Schößlinge (oder Knorren?) heraustreten. Das
Kreuz ſelbſt tritt aus einer gravirten Unterlage hervor, was
ebenfalls bei den Nebenfiguren der Fall iſt, gleichſam als ob
der Künſtler dieſe Figuren auf einem dahinter aufgehängten
Teppich hätte erſcheinen laſſen wollen. Das Haupt des
Heilandes iſt von einem mit fünf größeren und zwei kleineren
Steinen beſetzten Nimbus umgeben. Dieſe Hauptſteine werden
durch, nach der Mitte convergirende Reihen kleinerer Steine
von einander geſondert. Ein Kranz von Steinen gleicher Art

** Jn einer der letzten Sitzungen des kirchlichen Diözeſan-
kunſtvereins machte Hr. Bezirksbauinſpektor Lembke die anwe-
ſenden Mitglieder auf ein altes, in der ehemaligen Kloſter-
und jetzigen Pfarrkirche zu St. Trudpert befindliches Kreuz
aufmerkſam, von welchem er eine flüchtig entworfene Zeichnung
zur Anſicht vorlegte. Das große Jntereſſe, welches die Ver-
ſammlung dem angeregten Gegenſtande ſchenkte, veranlaßte
den Secretär des chriſtlichen Kunſtvereins von dem Hochw.
Ortspfarrer zu St. Trudpert das Original ſelbſt auf kurze
Zeit zur Einſichtnahme zu erbitten. Schon der erſte Blick auf
dieſes merkwürdige Kreuz gewährt dem Beſchauer die Ueber-
zeugung, daß dasſelbe in archäologiſcher Hinſicht äußerſt in-
tereſſant iſt; eine genauere Unterſuchung desſelben ſteigert die-
ſes Jntereſſe in hohem Grade. Der chriſtliche Kunſtverein
glaubt ſomit auf die Theilnahme ſämmtlicher Leſer dieſer Blät-
ter rechnen zu dürfen, wenn er in Nachfolgendem dieſe vater-
ländiſche, kirchliche Antiquität einer eingehenden Beſprechung
unterzieht, deren deſcriptiven Theil wir dem eben ſo gelehrten
als thätigen Vorſtandsmitglied, Hrn. Prof. Dr. Bock verdanken.
Das mit getriebenem Silber überkleidete Crucifix hat eine
Geſammthöhe von 2' 2'' 4'''; die Breite desſelben beträgt
1' 6'' 8'''. Jn dieſem Maße ſind jedoch die Quadrate, welche
die beiden Kreuzesbalken an den vier Enden abſchließen, mit-
eingerechnet. Die erwähnten Schlußquadrate ſind nicht von
gleichmäßiger Größe. Die Breite des obern Quadrates beträgt
3'' 8''', deſſen Höhe 3'' 3'''; die Breite jedes der beiden mitt-
leren ergibt S, deren Höhe je 3'' 9''', während das untere
Quadrat 3'' 9''' hoch und 3'' 8''' breit iſt. Die Vorderſeite
des Crucifixes zeigt eine Darſtellung des am Kreuze leidenden
Heilandes, die Kehrſeite iſt in ſinnreicher Weiſe mit dem gleich-
falls in Hautrelief ausgeführten Bilde des verklärten, als Wel-
tenrichter erſcheinenden Chriſtus geſchmückt.
Wenden wir uns zunächſt zur Betrachtung der Vorder-
ſeite des Kreuzes. Hier feſſelt zunächſt die Hauptfigur, der
am Kreuze ausgeſpannte Chriſtus, unſere Aufmerkſamkeit. Die
Phyſiognomie desſelben trägt einen gewiſſen Zug der Milde;
weit weniger oder gar nicht tritt an demſelben der Ausdruck
ſinnlichen Schmerzes zu Tage. Die Augen ſind geöffnet; die
 
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