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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 11.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.7189#0026
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— 212 —

Miethling (Virtuoſen) abgerichtet werden, ſondern durch den
muſikaliſchen Unterricht nur lernen, das Schöne in Melodien
und Rhythmen mit klarer, bewußter Einſicht zu erkennen, zu
empfinden und zu genießen, und auf ſolche Weiſe den wahren
ſittlichen Nutzen daraus zu ziehen. Es iſt durchaus nicht gleich-
gültig, welche Jnſtrumente und welche Harmonien den Gegen-
ſtand des Unterrichtes bilden. Die ſchwer zu behandelnde
Kythara taugt nicht, die Flöte wirkt nicht ethiſch; Athene, die
Göttin der Weisheit, hat gut gethan, die Flöte wegzuwerfen.
Es bleibt nur die ächt griechiſche Lyra übrig. Für die Erzie-
hung der Jugend dürfen nur ethiſche Melodien und ethiſche
Harmonien gebraucht werden; ſolche ſind aber vorzugsweiſe
die doriſchen.
Die Wahrheit der Aufſtellungen dieſer drei großen Meiſter,
denen auch die Weiſen der älteſten Völker, wie wir nebenbei
bemerkten, beiſtimmen, wurde auch noch in den Zeiten des
Verfalles und Unterganges griechiſcher Bildung anerkannt. Die
Muſen, ſagt Plutarch, würden uns ſehr tadeln, wenn wir
glaubten, ihr Werk beſtehe in der Kythara und in der Flöte,
und nicht vielmehr darin, durch Melos und Harmonie den
Charakter zu bilden und die Gemüthsaffecte zu beſänftigen.
Die erſte und ſchönſte Aufgabe der Muſik iſt, den Göttern die
Verehrung und den Dank der Menſchen darzubringen, die
zweite aber, die Jugend zu bilden und die Seele des Menſchen
zu reinigen und wohlklingend und harmoniſch zu machen.

Muſik in ihrer einfachen Schönheit auffaſſen und ſoweit, als
Noth iſt, ausüben lernen. Virtuoſenthum iſt unnütz. Wahrhaft
muſikaliſch iſt nur der zu nennen, der nicht nur blos eine
ſchöne Harmonie anzuſchlagen, die Lyra oder ſonſt ein Jnſtru-
ment zum Spiele zu behandeln weiß, ſondern der ſein Leben
in Wort und That zuſammenſtimmt, ſo recht in doriſcher Weiſe,
nicht joniſch, nicht phrygiſch, nicht lydiſch, ſondern in der ein-
zigen ächten, wahren, helleniſchen Harmonie. Eine weiſe Regie-
rung ſoll das ſtrengſte Augenmerk auf die jeweilig herrſcheude
Muſik richten, damit dieſe keinen unſittlichen, frivolen und
weichlichen Charakter annehme: eine neue Tonweiſe einführen,
ſei nichts Anderes, als alles Bisherige auf's Spiel ſetzen; wer
die alte Muſik ändere, verändere damit das Fundament der
ganzen Staatsordnung, die Stimmung der Gemüther und die
daraus hervorgehende Geſinnung des Menſchen. ) Von den
Jnſtrumenten ſollen nur die Lyra und Kythara für die Stadt
und die einfache Hirtenflöte für das Land in Anwendung kom-
men. Die Saiteninſtrumente haben den Vorzug vor den Blas-
inſtrumenten. **) Geſang allein oder begleitet von der Lyra iſt
beſſer als bloße Jnſtrumentalmuſik, bei der die Worte fehlen
und es ſchwer zu erkennen iſt, was damit gemeint ſei und ob
etwas Würdiges damit nachgeahmt werde.
Wir Alle, ſagt Ariſtoteles, halten die Muſik für eines
der ſüßeſten Dinge, wie ja auch ſchon Muſäos geſagt hat,
Geſang ſei der Sterblichen ſüßeſtes Labſal. Die Muſik kann
ſowohl zum Angenehmen gerechnet werden, als wegen ihrer
ſittenbildenden Kraft für ein Förderungsmittel des Guten gelten.
Aber höher als das rein ſinnliche Vergnügen an dem Wohl-
klange der Muſik ſteht die durch das Anhören derſelben bewirkte
Reinigung oder Entlaſtung der Seele. Die Geſänge ſind theils
practiſch, wenn ſie zum Handeln, zur That anregen, theils
enthuſiaſtiſch, inſofern ſie eine rein gehobene, begeiſterte Stim-
mung im Allgemeinen hervorrufen, theils ethiſch, inſofern ſie
eine rein ſittliche, dabei ruhige Verfaſſung der Seele zur Folge
haben. Der höchſte Beruf der Muſik iſt, auf die Tugend und
den ſittlichen Charakter einzuwirken und letztern zu beſſern.
Jndem die Melodien und Tonarten Seelenſtimmungen aus-
drücken, rufen ſie dieſelben auch hervor. Das Mixolydiſche
wirkt als ergreifende Klage, das Phrygiſche reißt zur Begei-
ſterung empor, das ruhige, edle, mannhafte Doriſche behauptet
die ſchöne Mitte zwiſchen dieſen entgegengeſetzten Richtungen.
Dasſelbe gilt von den Rhythmen. Weil demnach die Muſik
das Vermögen beſitzt, der Seele eine ſittliche Beſchaffenheit zu
geben, ſo muß man die Jugend dazu anhalten und darin aus-
bilden. Der junge Staatsbürger ſoll aber nicht zum artiſtiſchen

eiden und reuden eines Kirchenmuſikers

Jch) biß oftmal in die Feder, bevor ich mich entſchließen
konnte, mein eigenes Porträt zu zeichnen. Derlei Selbſt-Bio-
graphien leiden meiſt an eitler Selbſtüberſchätzung und werden
dadurch widerlich; doch es ſtärkt mich der Gedanke, daß ein
Theil der verehrten Leſer an den Leiden und Freuden eines
Muſikers Jntereſſe finden dürfte, wobei die gemachten Erfah-
rungen auf jene, welche urplötzlich alles geändert wiſſen wollen,
abkühlend, gegen andere aber, die überall nur Berge von
Hinderniſſen ſich aufthürmen ſehen, aneifernd einzuwirken ge-
eignet ſind.
Jn den Studentenjahren ſchwermüthig bis zur grauſigſten
Melancholie verlegte ich mich als Theologe mit ungeſtümen
Eifer auf die Muſik und ihr verdanke ich nächſt dem Einfluſſe
der Religion die unzerſtörbare Ruhe und Heiterkeit, deren ich
mich bis heute erfreue. Mein einziger Schmerz war die Mittel-
loſigkeit, die es mir nicht geſtattete, ſo viel Unterricht zu
nehmen als ich wünſchte. Bevor ich noch auf meiner
erſten Station, einem einſamen aber lieblichen Gebirgsdorfe
anlangte, war ſchon der Ruf vorausgeeilt, der kommende Kaplan
ſei ein wüthender Muſiker. Der geheime Schreck, den manche
Schullehrer vor muſikaliſchen Geiſtlichen haben, war diesmal
wohlbegründet; denn unter andern Dingen hatte ich auch den
eiſernen Entſchluß mitgebracht, mit Einſatz aller meiner Kräfte
für Kirchenmuſik zu wirken. Jch fand einen Pfarrer, den ich
nur Vater nennen kann und deſſen einziger Fehler darin be-
ſteht, daß er nicht muſikaliſch iſt; ich fand einen ſehr verdienſt-
vollen Schullehrer, deſſen muſikaliſche Bildung leider in eine
Zeit fiel, wo der Zopf in der kirchlichen Kunſt bis auf die
Knöchel wackelte; ich traf eine Orgel, die nicht ſchlecht, aber
ſehr verwahrlost war; Sänger und Muſiker, die größeren
Chören Ehre gemacht hätten; ich fand aber auch ein Archiv
voll Muſikalien, eine wahre Senkgrube des Elendeſten, was jemals
für die Kirche componirt wurde. Nach dieſem Befunde begann
ich zu reformiren, wohlweislich zuerſt — bei mir ſelbſt. War

*) Confueius ſagt: ,,Wollt ihr wiſſen, ob ein Land wohl re-
gieret und gut geſittet iſt? Höret ſeine Muſik!' Der chineſiſche Kaiſer
Ngai-ti erließ ein Decret über Reform der Muſik, in welchenm es
wörtlich heißt: ,,Heutzutage herſchen bei uns drei große Uebelſtände:
Der Luxus bei den Mahlzeiten, im Anzuge u. ſ. w., die Sucht nach
tauſenderlei eitlen Schmuckſachen, und die Vorliebe für die weichliche
und weibiſche Muſik von Tſchin und Wei'' (zwei kleine ſchon von Alters
her wegen Weichlichkeit verrufene Königreiche). ,,Dem Luxus folgt der
Ruin der Familien — in der dritten Generation gehen ſie zu Grunde
und das ganze Kaiſerthum verarmt allmählig. Die Sucht nach eitlen
Schmuckſachen bewirkt, daß ſich eine große Zahl von Leuten mit höchſt
unnützen Künſten befaßt, ſtatt ſich mit dem Ackerbau zu beſchäftigen.
Endlich führt weibiſche weichliche Muſik zur Sittenloſigkeit. Trotz alle-
dem in einem Reiche Wohlſein und Rechtſchaffenheit zur Herrſchaft
bringen wollen, heißt ſo viel als verlangen, eine verſchlammte Quelle
ſolle einen reinen Bach geben.
**) Bekannt iſt die Mythe von Apollon und Marſyas; der Lyra-
ſpieler ſiegte über den Flötenſpieler. Platon verwirft die vieltönige
Flöte, und ſagt: ,, Was thun wir denn beſonderes, wenn wir Apollon
dem Marſyas vorziehen.'' Ariſtides Quintilianus ſagt: ,,Des
Marſyas Jnſtrumente ſtanden ſo tief unter jenen Apollons, wie
Handarbeiter und Ungelehrte unter Weiſen, oder wie Marſyas ſelbſt
unter Apollon.''

*) Ein öſterr. Kaplan in genannter Zeitſchrift
 
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