Chriſtliche
Kunſtblätter.
Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 155.
Domine dilexi decorem domus iuae. Ps. 25, 8.
1875.
Angabe ſeines Biographen Baini) dürfte indeß wohl am
beſten mit Gründen belegt ſein, und dieſer nennt das Jahr
1524 als ſein Geburtsjahr. Der Familienname (?) unſeres
Meiſters iſt Pierluigi (lat. Petrus Aloysius), der Vorname
Giovanni; gewöhnlich ſetzt man zu da Palestrina, aus
Paleſtrina (lat. Praenestinus). Letzteres, das alte Präneſte,
im römiſchen Gebiet gelegen, iſt ſein Geburtsort. Der all-
gemein übliche Name unſeres Meiſters iſt einfach Paleſtrina.
Die Eltern waren arme Leute, und es iſt daher wahrſchein-
lich, daß ſie ihren Sohn (Giovanni hatte nur noch einen
Bruder, Namens Bernardino) aus Rückſicht auf die großen
Vortheile, welche damals tüchtigen Sängern häufig erwuchſen,
zum Kirchenſänger beſtimmten. Jm 16. Jahre wurde er als
talentvoller Jüngling zur weiteren Ausbildung nach Rom
geſchickt, wo er in der Schule Claude Goudimel's *) ſeine
erſten Studien machte. Jm Jahre 1551 erhielt er in der
vom Papſte Julius JJ. geſtifteten Capella Giulia ſeine erſte
Anſtellung als Lehrer der Singknaben (magister puerorum,
ital. maestro ds putti), nach kurzer Zeit ward er ſodann
zum Capellmeiſter im Vatican ernannt. Zu dieſer Zeit
erſchien auch der erſte Band ſeiner Meſſen, den er dem
damaligen Papſte Julius JJJ. widmete. An dem Papſte
gewann er durch dieſes Erſtlingswerk einen vielvermögenden
Gönner und wurde von ihm beſtehenden Vorſchriften ent-
gegen im Januar 1555 in das Collegium der päpſtlichen
Sänger aufgenommen, in Folge deſſen er die Capellmeiſter-
ſtelle im Vatican verließ.
I. Musicae Princeps.)
oannes Petrus Aloysius Praenestinus Musicae Prin-
eeps lautet die einfache Jnſchrift, welche den vor dem
Altar Simon und Juda zu St. Peter im Vatican einge-
ſenkten Sarg des großen Paleſtrina ziert. Jn der That,
ein Fürſt im Reiche der Töne iſt Paleſtrina, das Oberhaupt,
der Größte unter den Großen, welche mit allgewaltigem
Zauber die Herzen von dem wirren, ſinnebetäubenden, un-
ruhevollen Treiben der Welt emporziehen in das Reich der
ewigen Harmonie, indem ſie himmliſche, ergreifende, tieffromme
Töne anzuſchlagen verſtehen, die nur in gleichgearteten, dem
göttlichen Leben zugewandten Gemüthern einen Widerhall
finden können. Ein Reformator mag Paleſtrina genannt
werden, aber ,,ein Reformator im conſervativſten Sinne.
Als Reformator nach innen brach er nirgends mit dem
Organismus ſeiner Kunſt, drang in deſſen Tiefen wie keiner
ſeiner Zeitgenoſſen, veredelte und verklärte ihn. Neue Bahnen
nach außen eröffnete er nicht, wohl aber neue ungeahnte
Zugänge in's innere unermeßliche Labyrinth der Harmonien.
Während faſt alle Mitgenoſſen dem Fortſchritt huldigten,
begnügte ſich ſein Genius mit dem Heiligthum des Herkom-
mens und war auch hierin Vorbild der größten Meiſter
ſpäterer Perioden, denen die Verherrlichung des eigenen
Geiſtes mit rückſichtsvollem Hinnehmen überlieferter Kunſt-
formen ganz vereinbar blieb.' Die contrapunktiſche Kunſt
ſchwingt ſich in Paleſtrina zur höchſten Schönheit auf, indem
ſie in deſſen ,,Stilart'' den ſchönſten harmoniſchen Gehalt
und die Regeln der contrapunktiſchen Architektonik in freieſter
und maßvollſter gegenſeitiger Durchdringung darſtellt. Hat
unſer Meiſter auch nicht neue Bahnen nach Außen eröffnet,
ſo bringt er doch die Kunſt ſeiner Zeit durch geniale Jn-
ſpirirung ihrer Formen zu ihrem Gipfelpunkt und ſchließt
ſomit, kann man ſagen, die Periode des Contrapunktes, die
bereits drei Jahrhunderte gedauert hatte und deren Stil
füglich als Stil ſtrenger Erhabenheit gekennzeichnet werden
kann, mit der Macht des Genie's ab.
Paleſtrina's Geburtsjahr wird verſchieden angegeben.
Die Angaben ſchwanken zwiſchen 1514 und 1529. Die
*) Giuſeppe Baini, Sänger und ſpäter Generaldirector der päpſt-
lichen Capelle, geboren 1775 in Rom, geſtorben 1844, hat ſich durch
ſeine kritiſche Biographie Paleſtrina's (Memorie storico-eritiche dea
vita e delle opere di G. P. da P., deutſch von Kieſewetter), welche ſich
auf die beſten, ſonſt kaum einem Andern zugänglichen Quellen ſtützt,
europäiſchen Ruf erworben.
**) Claude Goudimel aus Burgund, geboren um 1510, gründete
1540 eine Geſangs- und Compoſitionsſchule in Rom, lebte ſpäter in
Lyon und wurde 1572 in der Bartholomäusnacht als Hugenott er-
mordet. Seine Werke, zum Theil gedruckt (Chansons spiritueſſes, Flores
cantiovum a IV voo. ete.), ſind im Ganzen wenig bekannt geworden.
Er componirte u. A. auch die von Theodor Beza und Clem. Marot
überſetzten Pſalmen (1565) und ſind die Melodien zum Theil noch in
den reformirten Kirchen Frankreichs und der Schweiz im Gebrauche.
*) Beilage zur. A. Poſtztg. Nr. 65 ff.
Kunſtblätter.
Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erzdiöceſe Freiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)
Nro. 155.
Domine dilexi decorem domus iuae. Ps. 25, 8.
1875.
Angabe ſeines Biographen Baini) dürfte indeß wohl am
beſten mit Gründen belegt ſein, und dieſer nennt das Jahr
1524 als ſein Geburtsjahr. Der Familienname (?) unſeres
Meiſters iſt Pierluigi (lat. Petrus Aloysius), der Vorname
Giovanni; gewöhnlich ſetzt man zu da Palestrina, aus
Paleſtrina (lat. Praenestinus). Letzteres, das alte Präneſte,
im römiſchen Gebiet gelegen, iſt ſein Geburtsort. Der all-
gemein übliche Name unſeres Meiſters iſt einfach Paleſtrina.
Die Eltern waren arme Leute, und es iſt daher wahrſchein-
lich, daß ſie ihren Sohn (Giovanni hatte nur noch einen
Bruder, Namens Bernardino) aus Rückſicht auf die großen
Vortheile, welche damals tüchtigen Sängern häufig erwuchſen,
zum Kirchenſänger beſtimmten. Jm 16. Jahre wurde er als
talentvoller Jüngling zur weiteren Ausbildung nach Rom
geſchickt, wo er in der Schule Claude Goudimel's *) ſeine
erſten Studien machte. Jm Jahre 1551 erhielt er in der
vom Papſte Julius JJ. geſtifteten Capella Giulia ſeine erſte
Anſtellung als Lehrer der Singknaben (magister puerorum,
ital. maestro ds putti), nach kurzer Zeit ward er ſodann
zum Capellmeiſter im Vatican ernannt. Zu dieſer Zeit
erſchien auch der erſte Band ſeiner Meſſen, den er dem
damaligen Papſte Julius JJJ. widmete. An dem Papſte
gewann er durch dieſes Erſtlingswerk einen vielvermögenden
Gönner und wurde von ihm beſtehenden Vorſchriften ent-
gegen im Januar 1555 in das Collegium der päpſtlichen
Sänger aufgenommen, in Folge deſſen er die Capellmeiſter-
ſtelle im Vatican verließ.
I. Musicae Princeps.)
oannes Petrus Aloysius Praenestinus Musicae Prin-
eeps lautet die einfache Jnſchrift, welche den vor dem
Altar Simon und Juda zu St. Peter im Vatican einge-
ſenkten Sarg des großen Paleſtrina ziert. Jn der That,
ein Fürſt im Reiche der Töne iſt Paleſtrina, das Oberhaupt,
der Größte unter den Großen, welche mit allgewaltigem
Zauber die Herzen von dem wirren, ſinnebetäubenden, un-
ruhevollen Treiben der Welt emporziehen in das Reich der
ewigen Harmonie, indem ſie himmliſche, ergreifende, tieffromme
Töne anzuſchlagen verſtehen, die nur in gleichgearteten, dem
göttlichen Leben zugewandten Gemüthern einen Widerhall
finden können. Ein Reformator mag Paleſtrina genannt
werden, aber ,,ein Reformator im conſervativſten Sinne.
Als Reformator nach innen brach er nirgends mit dem
Organismus ſeiner Kunſt, drang in deſſen Tiefen wie keiner
ſeiner Zeitgenoſſen, veredelte und verklärte ihn. Neue Bahnen
nach außen eröffnete er nicht, wohl aber neue ungeahnte
Zugänge in's innere unermeßliche Labyrinth der Harmonien.
Während faſt alle Mitgenoſſen dem Fortſchritt huldigten,
begnügte ſich ſein Genius mit dem Heiligthum des Herkom-
mens und war auch hierin Vorbild der größten Meiſter
ſpäterer Perioden, denen die Verherrlichung des eigenen
Geiſtes mit rückſichtsvollem Hinnehmen überlieferter Kunſt-
formen ganz vereinbar blieb.' Die contrapunktiſche Kunſt
ſchwingt ſich in Paleſtrina zur höchſten Schönheit auf, indem
ſie in deſſen ,,Stilart'' den ſchönſten harmoniſchen Gehalt
und die Regeln der contrapunktiſchen Architektonik in freieſter
und maßvollſter gegenſeitiger Durchdringung darſtellt. Hat
unſer Meiſter auch nicht neue Bahnen nach Außen eröffnet,
ſo bringt er doch die Kunſt ſeiner Zeit durch geniale Jn-
ſpirirung ihrer Formen zu ihrem Gipfelpunkt und ſchließt
ſomit, kann man ſagen, die Periode des Contrapunktes, die
bereits drei Jahrhunderte gedauert hatte und deren Stil
füglich als Stil ſtrenger Erhabenheit gekennzeichnet werden
kann, mit der Macht des Genie's ab.
Paleſtrina's Geburtsjahr wird verſchieden angegeben.
Die Angaben ſchwanken zwiſchen 1514 und 1529. Die
*) Giuſeppe Baini, Sänger und ſpäter Generaldirector der päpſt-
lichen Capelle, geboren 1775 in Rom, geſtorben 1844, hat ſich durch
ſeine kritiſche Biographie Paleſtrina's (Memorie storico-eritiche dea
vita e delle opere di G. P. da P., deutſch von Kieſewetter), welche ſich
auf die beſten, ſonſt kaum einem Andern zugänglichen Quellen ſtützt,
europäiſchen Ruf erworben.
**) Claude Goudimel aus Burgund, geboren um 1510, gründete
1540 eine Geſangs- und Compoſitionsſchule in Rom, lebte ſpäter in
Lyon und wurde 1572 in der Bartholomäusnacht als Hugenott er-
mordet. Seine Werke, zum Theil gedruckt (Chansons spiritueſſes, Flores
cantiovum a IV voo. ete.), ſind im Ganzen wenig bekannt geworden.
Er componirte u. A. auch die von Theodor Beza und Clem. Marot
überſetzten Pſalmen (1565) und ſind die Melodien zum Theil noch in
den reformirten Kirchen Frankreichs und der Schweiz im Gebrauche.
*) Beilage zur. A. Poſtztg. Nr. 65 ff.