Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 19.1880

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7197#0022
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 440 —

dung gegeben haben, als wenn man heute etwa die Ver-
zierung eines Warteſaales mit ſolchen voll conſtitutionellen
Eifers rügt. Denn unſere Bilder ſind für jene Zeit und
ihr ärmliches Kunſtvermögen in der That eine außerordent-
liche Leiſtung, und es iſt Einem beim Beſchauen faſt, als
müßte die hohe Geſtalt der Frau Hadewig und die graziöſe
ihrer lieblichen Zofe dem frommen Ekkehard, der ſie gemalt,
zeitweiſe über die Schulter geſehen haben, ſo viel Adel und
Leben iſt ſchon in den Figuren.
Wir verdanken ihre Erhaltung vor der Wuth der ärgſten
von allen, der gebildeten Barbaren, dem Tüncher, der in
ihrem Auftrag im Jahrhundert der Aufklärung dieſe Zeugen
einſtiger frecher Budgetüberſchreitungen eines Tages dick
überweißte. Das war ihr Glück, ſonſt wären ſie bei einer
vor mehreren Jahren vorgenommenen und nichts weniger
als geiſtreichen Erneuerung der Decke und des Dachſtuhles
unfehlbar ebenſo ächt bureaucratiſch mit ſchwer zu entfer-
nender Leimfarbe überſtrichen worden wie der Chor, der
jedenfalls auch bemalt war. Doch jetzt nahte der Vermittler
ihrer Auferſtehung in der Perſon eines vor zwei Jahren
an die Stelle verſetzten jungen Pfarrers, Herrn Feederle.
Weniger kampfluſtig (?) als ſeine Genoſſen und nicht ſo phleg-
matiſch als die Vorgänger, widmete er ſich vor allen Dingen
dem Schmuck und der Wiederherſtellung ſeines Gotteshauſes.
Mit Adler's unlängſt erſchienener Monographie bekannt ge-
worden, ſchöpfte er wohl aus ihr die Anregung, weiter nach-
zuforſchen. Da fand er denn, daß in der Nachbarſchaft des
Orgelchores an einigen Stellen der Längenwand, wo die
Tünche abgefallen war, ihm Farben entgegenleuchteten. Mit
einem kleinen hölzernen Hammer war die Tünche leicht ab-
zuklopfen, ihre Reſte mit einem Meſſerchen ſchonend zu ent-
fernen, gelang bei einiger Uebung auch bald. So ward
denn nach und nach ein hinreichend großes Stück des Kalk-
überzuges entfernt, um zu zeigen, daß man hier vor einem
in beinahe lebensgroßen Figuren ausgeführten Bild ſtand,
welches die Auferweckung des Lazarus darſtellte und etwa
12 Fuß Breite auf 8 Fuß Höhe maß. Trotz der noch byzan-
tiniſch⸗ſchematiſchen Formbehandlung entbehrt die noch überall
die Anlehnung an die antile Kunſt zeigende Compoſition doch
weder der dramatiſchen Kraft, noch einer gewiſſen ſtrengen
monumentalen Würde und Großartigkeit. Während der,
gefolgt von den Jüngern, raſch eintretende Chriſtus, eine
majeſtätiſche Geſtalt, mit halb gebietender, halb ſegnender
Geberde ihn erweckt, zeigt der noch ganz in kreuzweis ge-
ſchnürtes Linnen eingehüllte, wie von unſichtbaren Gewalten
emporgehobene Lazarus, wie die ſich flehend vor dem Herrn
niederwerfende Martha uud einige ſich vor dem Leichen-
geruch die Naſe zuhaltende Umſtehende eine Auffaſſung, von
der ſich die ſo viel ſpätere Giotto'ſche kaum weit entfernt
und ſie an packender Wirkung jedenfalls nicht überbietet.
Jn ſeiner geiſterhaften Bläſſe, welche die Köpfe kaum unter-
ſcheiden läßt, macht das Ganze einen ergreifenden Eindruck.
Die Ausführung, ſo weit ſie noch zu beurtheilen, zeigt trotz
der Schwäche des Nackten doch einen überraſchend edlen,
den beſſeren gleichzeitigen Moſaiken in der Markuskirche
verwandten Styl, dem es übrigens keineswegs an Selbſt-
ſtändigkeit gebricht und der ſchon das mürriſche, grimmige
Weſen byzantiniſcher Figuren keineswegs zeigt, ſo wenig
als ihre harten Umriſſe, wenn er in anderen Dingen auch
an ſie erinnert, ſo ſpeciell in der ſcharfen, ſtreifigen Gegen-
behandlung. Unmittelbare Anlehnung an die Natur iſt nir-
gends zu bemerken, aber ein ganz entſchiedenes Talent großer
und klarer Auffaſſung. Die Carnation iſt auffallend gelblich,
die Färbung ſcheint hell immer geweſen zu ſein. Eigentliche
Verkirzungen gibt es noch nicht, ſo wenig als Perſpective

überhaupt, aber die ziemlich reichen architektoniſchen Hinter-
gründe zeigen durchaus die altchriſtliche Behandlung. Das
ganze iſt der antiken Kunſt noch viel verwandter, als ſpätere
Arbeiten, und darum auch großartiger. Offenbar rührt es
von Künſtlern her, die unſer Witigowo, wenn auch nicht
aus Byzanz mitbrachte, doch vielleicht dahin mitgenommen
hatte, um ſie dort ausbilden zu laſſen.
Nachdem unſer Pfarrer von erzbiſchöflichen Bauamt in
der Perſon des Architekten Bär eine kunſtverſtändige Bei-
hilfe erhalten, wurden nach und nach die übrigen Bilder
der Reihe, welche ſich durch das ganze Schiff hinzieht, von
der Tünche befreit. Zunächſt anſtoßend zeigte ſich die Er-
weckung des Jünglings von Naim, der die von Jairi Töchter-
lein folgte. Das vierte Bild, offenbar auch ein Wunder, iſt
mir ſo wenig als Anderen zu entziffern gelungen, da es
noch mehr als die übrigen gelirten hat.
Unter ſich ſind dieſe Bilder durch Ornamentſtreifen ge-
trennt und unten durch einen breiten rothen Strich abge-
ſchloſſen, der in altrömiſchen Buchſtaben lateiniſche Unter-
ſchriften, wohl die betr. Bibelſtellen, enthält. Unter ihm
ſchließt ein breiter Mäander dieſe Bilderreihe ab und trennt
ſie von den Zwickeln zwiſchen der Arkadenreihe. Dieſe ent-
halten auffallend byzantiniſch ausſehende Bruſtbilder von
tonſurirten Heiligen mit ſpäter aufgemalten Spruchbändern
in altdeutſcher Schrift des 15. Jahrhunderts. Denn es
zeigte ſich nun bei näherer Unterſuchung bald, daß unſere
Bilder ſchon zwei ſehr rückſichtsloſe Reſtaurationen über
ſich ergehen laſſen mußten, deren eine im fünfzehnten, die
andere im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts ſtattfand,
und die wenigſtens beweiſen, daß man großen Werth auf
ſie legte. Die erſte erneuerte ihre Einrahmung mit gothi-
ſchen Ornamentſtreifen, malte den unteren Heiligen jene
Spruchbänder auf, ſetzte aber auch ganz neue Figuren an
die Stelle wahrſcheinlich ſchon damals halb erloſchener. Dies
geſchah z. B. beim Jüngling von Naim und dann weiter
links oben in der Ecke, wo gleich ein heiliger, mit reich-
lichen Schnörkeln eingerahmter Biſchof über ein Drittel des
unterhalb befindlichen Bildes weggemalt wurde, deſſen Gegen-
ſtand eben darum, wie verſchiedener durch bauliche Repa-
ratur entſtandener ganz weißen Stellen halber ſchwer er-
kennbar iſt. Die zweite Reſtauration ging offenbar von dem
Barokmaler aus, der um 1708 die Weſtabſis der Kirche
mit einem jetzt auch ganz erloſchenen jüngſten Gericht oder
dergleichen verzierte, und um die alten Bilder mit ſeinem
ſüßlichen Meiſterwerk in Uebereinſtimmung zu bringen, be-
ſonders ihre Hintergründe mit kokett bläulichen und grün-
lichen oder lila Tinten auffriſchte, was ihnen begreiflich nicht
allzugut bekam. So ſieht man deun jetzt an vielen Orten
ſowohl einfache als doppelte Uebermalungen, deren Sonde-
rung vom Alten Einem Anfangs nicht geringe Schwierig-
keiten bereitet, ja bisweilen einen faſt unlöslichen Wirrwarr
gibt. Jmmerhin iſt aber von der ächten Malerei noch genug
erhalten, um ſich ein ziemlich ausreichendes Urtheil wenig-
ſtens über die Compoſition und Zeichnung bilden zu können.
Am ſchlechteſten ſcheinen die Coloſſalfiguren von ſechs
Apoſteln erhalten zu ſein, die über der Hauptbilderreihe
zwiſchen den oberen Fenſtern des Schiffes angebracht ſind
und eben aufgedeckt wurden, als ich ſie beſuchte, wo ich den
Herrn Pfarrer mit einem Gehilfen in der einſamen, welt-
verlaſſenen Kirche oben auf ſchwindelndem Gerüſt ganz allein
an der Arbeit fand. Einzelnen Stellen nach zu urtheilen,
wo die Tünche bereits abgeklopft worden, ſind die Malereien
der nördlichen, noch nicht aufgedeckten Langſeite des Schiffes
beſſer erhalten, als die der bereits faſt ganz von Tünche
befreiten ſüdlichen. Es wäre daher ſehr zu wünſchen, daß
 
Annotationen