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sie sich beschäftigt, von ihr selbst aber nur das Nöthigste beibringt. So gering
der Verfasser selbst von diesem ersten Versuche auf einem bis jetzt unter uns
unbebauten Gebiete zu denken Ursache hat, so darf er die Schrift doch, ganz
abgesehen von ihrem Werthe oder Uuwerthe, ein hoffnungsvolles Zeichen der
Zeit nennen, und zwar um deswillen, weil ihr Erscheinen dafür Zeugniß giebt,
erstlich daß mau in unserer Kirche wiederum eins der bislang vergessenen und
preisgegebeuen Gebiete kirchlicher Kunst aufs neue in Besitz zu nehmen und zu
cultiviren angefangen hat, und zum andern, daß die Sache alsbald in die
Hände gerathen ist, die zu ihrer Betreibung vorzugsweise berufen sind; denn
darüber wird wohl kein langer Streit unter uns sein, daß mir die Bereitung
der liturgischen Gewänder als ein Stück der weiblichen Diakonie anzusehen
haben. Der Verfasser dieser Schrift hätte vor ein paar Decennien nicht ge-
ahnt, daß er etwas der Art schreiben würde, es hätte eine derartige Schrift
damals nur das Product einer Privatliebhaberei sein und keine Aussicht auf
einen praktischen Erfolg haben können. Jetzt war sie zu einem Bedürfniß ge-
worden, um den vielen Fragenden und Suchenden wenigstens eine erste Be-
lehrung zu gewähren und sie vor den Gefahren unsichern Herumtappens und
Experimeutirens zu sichern, und der Verfasser, der selbst nur ein Schüler und
Anfänger ist, wurde geradezu geuöthigt, die Nolle des Lehrmeisters zu über-
nehmen. Woher dieser Umschwung? Woher auf einmal dieser Eifer für das
vor wenig Jahren bis auf den Namen unbekannte Gebiet der Paramentik?
Ist es etwa auch eine von den Modepassionen, welche die Zeit gebiert und
verschlingt? Wir dürfen denn doch hoffen, das soll in der Hauptsache nicht so
sein, denn es hängt diese neuerwachte Liebe für kirchliche Stickkunst nicht blos
mit der natürlichen Neigung und Anlage der deutschen Frauenwelt, sondern
mit einem sich fort und fort verstärkenden Zuge der Gegenwart zusammen,
der darauf hingeht, die Kunst aus dem Jammer der Säcularisation zu erlösen,
der sie verfallen ist. Es ist das ein großes Stück Arbeit; aber wenn man die
Festung nicht mit einem Handstreiche nehmen kann, so ist es schon ein Gewinn,
wenn man sich eines Außenposteus beinächtigt, und als einen solchen leichter
zu erobernden Außenposten darf man vielleicht die Stickkunst betrachten. Die
vorliegende Schrift geht auf solche Wiedereroberuug aus, sie reclamirt den
Dienst der Nadel für die Kirche, in deren Dienste sie vor Alters ihre höchsten
Triumphe gefeiert und Arbeiten hervorgebracht hat, die mit dem Namen der
Nadelmalerei beehrt worden sind. Auf der Fahne, die sich hier entfaltet, steht
der Paramenten-Wahlspruch: ln majorain Dal «loi-iam! denn nächst der Auf-
gabe, den Herrn in seinen nackenden Gliedern zu kleiden, hat die Nadel und
Hand der Frauen keine schönere als die, sein Haus zu schmücken. Auf der
Kehrseite unserer Fahne ist aber noch eine etwas herausfordernde Parole zu lesen,
welche lautet: „Emancipatiou vou Fabrik und Salon!" Zwischen jener Positive
und dieser Negative bewegt sich so ziemlich das ganze Schriftchen. Bleiben wir
zunächst noch etwas bei der letzten: stehen.
Wenn von kirchlicher Stickkunst die Rede sein soll, so müssen wir uns ent-
schließen, mit der jüngsten Vergangenheit völlig zu brechen. Das Beste, was
unsere rcnommirtesteu Stickereigeschäfte bislang lieferten, trug fast ansschließ-
 
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