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Ein Stück inneren Lebens, ein Stück Glaube und Liebe zum Herrn und zu
seiner Kirche hat sich in diesen Bildern verkörpert. Die Schrift so auslegen
kann nur der, welcher sie lieb hat und darum versteht. — In der Wahl der
Blumen läßt sich die Künstlerin von der traditionellen Symbolik der Kirche
leiten, soweit ihr diese den Weg weist. Wo sie Neues bietet, ist sie einem
höheren Gefühle gefolgt und giebt uns deßhalb keine unlösbaren Räthsel auf.
Ihre Blumen reden alle eine dem Verständigen verständliche Sprache. Wenn die
bescheidenen Alpenveilchen mit ihren zu Boden gesenkten Kelchen neben dem
anspruchslosen Farrenkraute den Spruch illustriren: „Wer seine Augen nieder-
schlägt, der wird genesen:" wenn neben der hergebrachten Rose auch brennende
Liebe als Bild der heiligen Liebe verwendet wird; wenn ein Vergißmeinnichtbüschel
von köstlicher Naturwahrheit das: „Vergiß der Elenden nicht," einfaßt; so sind das,
wenn auch nicht alte, so doch ganz natürliche, verständliche Bezüge und Deutungen.
22 Schriftstellen in dieser Weise zu componiren und doch nicht monoton
werden und doch ans jedem Blatte ein kleines originelles Kunstwerk machen —
dazu gehört -eine reiche Erfindungsgabe. Die Künstlerin besitzt diese Gabe und
wiederholt sich deßhalb nirgends. Dazu sind ihre Blumen und Blattgewinde
oft von wunderbarer Schönheit in Linie und Farbe; sie zeugen auch im Kleinsten
von einem Fleiß, einer Sorgfalt, deren in der Regel nur Frauenhände fähig
sind; haben aber zugleich eine Naturwahrheit, die man bei den Blumenmalereien
der Frauen trotz des kleinlichen Fleißes oft vermißt.
Wer so ein Bild genauer studirt, wird immer neue Schönheiten auch im
Kleinsten entdecken und den Reichthum der Erfindung bewundern, der sich auf
so kleinen Raum zusammendrängt.
Die Blätter im einzelnen genauer zu beschreibe wagen wir kaum. — Um
den Lesern des Kunstblatts eine Idee von der Art und Weise zu geben, wie
die Künstlerin ihre Initialen behandelt, haben wir eine derselben in ein paar
Strichen zu copiren versucht. Wir möchten nicht sagen, daß diese gerade die
schönste der Sammlung sei. Zwar giebt es ja auch unter diesen Jehova-
blumen Verschiedenheiten und uns sagt eine noch mehr zu, als- die andre.
Aber solche Unterschiede, wie in der ersten Veröffentlichung: der Glaube der
Väter, treten hier nicht zu Tage. Man möchte diese 22 Blätter, mit Ausnahme
von dreien, vieren vielleicht, gleichmäßig gelungen bezeichnen. — Daß zwischen
den tiefen, glühenden Farben des Originals und den schwarzen Strichen unseres
Holzschnitts ein ganzer Abgrund liegt, bedarf nicht der Erinnerung.
Das nebenstehende M bildet die Initiale zu dem Spruche: „Meine Seele
dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen,
daß ich Gottes Angesicht schaue?" Auf tiefblauem Grunde liegt das gothische
M, roth mit goldenen: Mooswerk; umwunden mit Wein und Aehren. Die
Künstlerin deutet selbst in der hinten angefügten kurzen Erklärung Wein und
Aehren auf Christi Leib und Blut. Trotzdem wagen wir in diesen Symbolen
mehr noch zu finden. Es geht ja dem wahren Künstler stets so, daß er in in-
stinktivem Schaffen mehr thut, als er selbst weiß, und in Wort und Bild mehr
sagt, als er sich bewußt ist. Wahre Kunst ist eben eine Art Inspiration.
Wein und Brot deuten nicht bloß auf die sakramentale Vereinigung mit dem
 
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