Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 10.1868

DOI issue:
Nro 12 (1. December 1868)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24463#0196
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
190

Herrn in der Zeit, sondern zugleich auf die vollendete in der Ewigkeit. Wenn
wir mit dem Herrn neu trinken sein Gewächse des Weinstocks; wenn die Seelen,
die er sich eingepflanzt, volle Frucht, den köstlichen Wein himmlischer Liebe
bringen, und die Aehren auf seinem Acker ausgereist und in die himmlischen
Scheunen eingesammelt sind -— dann werden wir Gottes Angesicht schauen.
In ihrem ersten Werke hatte die Künstlerin auch einmal das Reich der
Vollendung im Bilde andeuten wollen, lieber dem Liede: „Jerusalem, du
hochgebaute Stadt" findet sich eine Darstellung der himmlischen Stadt mit
ihren goldenen Zinnen und ihrem Perlenthore; davor ein Chor von Engeln
— irren wir nicht, nach Fiesole. Fiesole's zarte himmlische Gestalten in Litho-
graphie wieder zu geben, ist keine leichte Aufgabe. Abgesehn aber von der
lithographischen Ausführung — man vergleiche beide Blätter, die Andeutung
in Wein und Aehren, und die Abbildung in figurenreichem Bilde — Nieman-
dem wird zweifelhaft sein, was schöner und was passender für die Absichten
der Künstlerin.
Noch als besonders schön erwähnen wir das O in: „O Lamm Gottes." Warum
die Künstlerin hier ein Lied wählt, statt einer Bibelstelle, wissen wir nicht. Die
Initiale ist ein Kreuz in Gold und Braun auf mattblauem Grunde, welcher
ovalförmig mit dem blutrothen O die Kreuzarme umfaßt. In der Mitte des
Kreuzes und des Buchstabens steht das weiße Lamm auf einem Dornenzweige,
der in den edelsten Linien nach unten zu einem Stiele ausläust, so daß Kreuz
und Buchstaöe aus ihm herausgewachsen erscheinen. Die Fülle von Deutungen,
die sich aus Dorn und Kreuz auf Sünde und Erlösung und des Herrn Leiden
ergeben, liegen zu nahe.
In dem Lamme, dem Hirsche, dem Pelican, der Taube, der Schlange, ist
die Künstlerin zur Thiersymbolik der alten christlichen Kunst zurückgekehrt und
das ist gewiß ein glücklicher Gedanke. So oft wir die Jehovablumen betrachten —
und wir haben sie oft und mit immer neuem Genüsse und nicht ohne Erbauung
vor uns liegen gehabt — so oft beschlich uns der Gedanke, daß auch eine so
reiche Erfindungsgabe wie die der Künstlerin auf diesem Gebiete bald das
Mögliche erschöpft haben würde.
Aber die erste Lieferung eines neuen Werks, das wir oben an zweiter
Stelle angezeigt/belehrt uns zu unserer großen Freude eines andern. Die
Künstlerin greift noch einmal zum Kirchenliedc zurück. Sie scheint selbst gefühlt
zu haben, daß die fruchtbare Aufgabe, die sie im „Glauben der Väter" sich
gestellt, doch noch in andrer Weise gelöst werden könne. Und wie vortrefflich
hat sie dieselbe gelöst! Wie wunderbar klingen die Harmonieen der Linien und
der Farben mit dem alten, unverfälschten Dichterworte zusammen und wie
mächtig dringt dieser Accord an unsre Seele! Wir gestehen unbedenklich zu,
daß in diesen neusten vier 'Blättern eine Leistung vorliegt, die dem Schönsten
auf dem Gebiete der Randzeichnung ebenbürtig zur Seite treten darf. Und es
ist gewiß mehr als ein glücklicher Zufall, daß für diese Künstlerin der Farben-
druck vorhanden war und in der Anstalt von Loeillot ihr Möglichkeiten und
Leistungen zur Verfügung stellen konnte, die man vor Kurzem noch als Unmög-
lichkeiten angesehen haben würde.
 
Annotationen