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Das Titelblatt zeigt uns ein goldnes Kreuz, an seinen vier Enden in ver-
schobene Quadrate ausladend. In edlen Linien schlingt sich um dasselbe eine
Passionsblume, welche die vier Kreuzenden mit vier rothen, den Kreuzdurch-
schnitt mit einer weißen Blume, die Balken mit grünen Blättern und Ranken
bedeckt, Blumen und Blattwerk sind von vollendeter Schönheit.
Auch die feinsten Biegungen der Blätter, die feinsten Schattirungen und
Unterschiede in der Farbe sind so naturwahr und mit einer so plastischen Wir-
kung wicdergegeben, wie wir es in Farbendruck kaum gesehen. Eine sternför-
mige Glorie nmgiebt das Kreuz, in leichter Goldschrasfirung von der Kreuz-
vierung ausfließend.
Was die Künstlerin in diesem Titelbilde, mit dem goldnen Kreuze, den
Passionsblumen hat sagen wollen? Kein Buchstabe findet sich auf dem Bilde;
aber gewiß wird jedem Beschauer manch Schriftwort, mancher Liedervers aus
ihm entgegenklingen. Das erste, was es uns in's Herz sang, war das Wort
des seligen Herberger:
Aus meines Herzens Grunde
Dein Nam und Kreuz allein
Funkelt allzeit und Stunde,
Drauf kann ich fröhlich sein.
Dieser Vers bezeichnet wohl auch die Sammlung, in welcher die Künstlerin
die folgenden Blätter concipirt und ausgeführt, in welcher sie dieselben von
uns betrachtet wissen möchte. — Dieß Titelblatt ist, rein technisch beurtheilt,
eine der schönsten Schöpfungen der Künstlerin und eine vortreffliche Leistung
des Farbendrucks.
Das erste Blatt bringt uns das Gerhard'sche Morgenlied: „Wach auf mein
Herz und singe." Sechs Verse, natürlich in der kräftigen Urform, füllen in go-
thischen Buchstaben mit kleinen bunten Initialen den Grund des Blatts, den
ein gelbgrauer Ton bedeckt. Es ist darin etwas wie Morgendämmerung. Den
breiten goldnen Rand begrenzen Zweige und füllen Blätter und Blumen. Früh-
lingshauch, Frühlingsstimmung weht uns aus diesem Geäste, aus Blatt und
Blume an. Unten sind köstliche Veilchenbüschel aufgeblüht. Die Kelche scheinen
sich leicht zu heben, und ihren Dust als Morgenopfer dem „Schöpfer aller Dinge"
darzubringen. Darüber erheben sich Schneeglöckchen. Es ist, als bewegten sie
sich leise und läuteten das Frühjahr und den Frühgottesdienst ein, den die er-
wachte Natur dem Herrn feiert. Darum fehlen auch oben in den ersten grünen
Zweigen die Sänger nicht; die heimgekehrten Vöglein stimmen ihr Morgenlied
an. Das „Wach auf," wie es am Frühjahrmorgen durch die Natur klingt,
wie es Kraut und Strauch, Blatt und Blüthe bewegt und Garten und Wald
mit Gesang erfüllt, ist in diesem Liede aufs Lebendigste dargestellt.
Und wieder ist auch das kleinste Blättchen, die unscheinbarste Wurzel und
Ranke in dieser reichen Komposition mit jener Treue behandelt und mit jener
Wahrheit ausgestattet, die wir immer bei der Künstlerin bewundern.
Diese Naturwahrheit trat uns besonders auch in dem zweiten Blatte ent-
gegen. Ein Gewinde von gewöhnlichen Fels- und Wiesenblumen, die beschei-
denen, bunten Kinder unserer deutschen Kornfelder und Waldwiesen, Klatschrose,
 
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