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die Welt der Ideen, nicht die Heimath des Gemüthes sind das Bereich, in dem es
ihm wohl ist; jener tiefere geistige Hintergrund ist ihm ein unbekanntes Land;
sondern die ganze Wirklichkeit des sinnlichen Lebens allerdings in der höchsten
Vollendung ist dasjenige, was ihn anzieht. Das Geistige hat nur einen Werth für
ihn, soweit es die Macht besitzt, in das Fleisch einzutreten; auf eine höhere Welt,
auf eine Welt, die nur das geistige Auge schaut und die nnr der Glaube an das,
was man nicht sieht, erfaßt, ist sein Sinnen nicht gerichtet. Die volle konkrete und
durchgebildete Wirklichkeit ist sein Heimathland. Es ist klar, daß die Plastik ihm
hiefür das geeignetste Kunstgebiet war, daß die Malerei nur eine sehr untergeordnete
Rolle spielen konnte.
Mit dem Christenthum tritt auch die Malerei entschieden in den Vordergrund
und verdrängt sogar die Skulptur eine Zeit lang ganz. Das ist doch ein ent-
schiedener Beweis dafür, daß das Vorherrschen der einen oder andern Kunst mit
religiösen Prinzipien zusammenhängt, daß man es nicht als Zufall betrachten kann,
daß die Malerei der Alten ganz durch die Plastik bestimmt und beherrscht war, daß
von einer selbstständigen Stellung derselben damals gar nicht die Rede sein konnte.
Das Christenthum tritt in die Welt ein und mit ihm die erhabene Idee von der
Gottesebenbildlichkeit des Menschen, von seinem himmlischen Berufe, von seiner inner-
lichen Umwandlung, Heiligung, Verklärung, von seinem Zusammenhänge mit einer
unsichtbaren höhern Welt.
Das Christenthum suchte sich für die künstlerische Ausprägung dieser Gedanken
feine Kunstform. Es konnte keine andere sein, als die Malerei. Sie ist die geistigste
Kunstweise, denn sie bedient sich der unendlichen Mannichfaltigkeit der Farbe. Die
Farbe aber ist das Kleid des Lichtes, und das Licht ist die Leiblichkeit der höheren'
Welt. Licht ist dein Kleid, sagt die Schrift, und in den wundervollen Nuancen
der Farben schauen wir, wenn auch nur ahnend, den unendlichen Reichthum einer
höheren Welt. Die Malerei mußte fortan die bevorzugte Kunst werden. Je feiner
die Kunst war, desto lichter, reiner, maßvoller, keuscher ist auch ihre Benützung der
Farbe. Nicht das Grelle, nicht das Prunkende, nicht das Bestechende ist die Eigen-
thümlichkeit wahrer christlicher Kunst, sondern jener stille, reine, leuchtende Glanz,
wie er köstlicher nirgends zu sehen ist, als bei unfern altdeutschen Meistern.
Es ist wahr, was Thausing sagt, das Mittelalter hat seine Eigentümlichkeit
insbesondere in den Werken seiner Bailkunst verkörpert. Es war die Zeit der hohen
Dome, der gewaltigen Münster. Nur eine Zeit, wie jene, wo alle Strebungen der
Völker in den einen großen Gedanken einmündeten, das Reich Gottes auf Erden zu
verwirklichen, konnte solche Kirchen bauen; unsere unruhige, zersplitterte, in tausend
Dinge dieser Welt verwickelte Zeit vermag das nicht mehr; sie kann ihre Sinne
nicht mehr auf das Eine lenken, was noth thut, sie gleicht der Martha, die sich
viel zu schaffen macht und darüber zu dem Höchsten und Besten nicht kommt. Welcher
neuere Kirchenbau könnte sich an jene Riesen voll erhabener Ideen stellen? Es ist
wahr, die Malerei trat in dieser Epoche vor der Architektur zurück, aber doch nicht
so, daß sie eine ganz untergeordnete Rolle spielte oder ganz von der Architektur
beherrscht war, sonderu mau erkannte jederzeit ihr gutes Recht an und suchte sie
möglichst zu verwerthen; uur die Hauptaufgabe der Zeit war sie uicht. Wie das
 
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