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Charakterisierung nach, in vier verschiedene Gruppen. Zur Rechten, hinter der
Gestalt Luthers, stehen Vertreter der Reformation und des Humanismus, darunter
Melanchthon und Karlstadt, an diese schließen sich mehrere Adelige und Ritter
an; die linke Seite ist dem eigentlichen Volke und der durch eine Anzahl Stu-
denten vertretenen Universität Wittenberg eingeräumt. Schon aus dieser äußeren
Anordnung lassen sich die Absichten des Künstlers deutlich erkennen; es galt nicht
allein, einen einzelnen geschichtlichen Moment herauszugreifen, sondern denselben
mit den gesamten humanistischen Bestrebungen der Zeit in Zusammenhang zu
bringen, ihn nicht als einzelne Erscheinung, sondern als Ausfluß des großen
Reformwerks auf religiösem und wissenschaftlichem Gebiet darzustellen. Diese Auf-
gabe ist dem Künstler in vorzüglicher Weise gelungen. Zunächst fesselt die Ge-
stalt des Reformators, der räumlich wie geistig das Bild beherrscht. In dem
zum Himmel gerichteten Blick spricht sich die volle Erkenntnis des schwerwiegenden
Augenblicks, ein unerschütterliches Vertrauen aus; die hoch erhobene Rechte faßt
die Bannbulle, um sie in die lodernde Flamme zu schleudern, die Linke drückt
die Bibel fest an das Herz, geschichtlich Wohl nicht beglaubigt, aber künstlerisch
durch die Betonung des Kontrastes von lebhafter Wirkung. Jede Darstellung
der Gestalt Luthers in seinem früheren Lebensalter bietet die erheblichsten Schwierig-
keiten, weil die Züge des Reformators, wie sie im Volksbewußtsein feststehen, die
seiner späteren Lebensjahre sind. A. v. Werner u. a. haben sich darüber weg-
gesetzt; sie haben die volle geschichtliche Treue wahren wollen und den jungen
Luther als eine hagere, bleiche Mönchsgestalt geschildert, in der niemand den
Reformator erkennt, zum großen Schaden der betreffenden Gemälde. Händler-
hat mit vollem Rechte eine Vermittlung gesucht. Luther trägt noch das Mönchs-
kleid, die Gestalt ist noch schlank, aber das Gesicht trägt bereits die allbekannten
Züge des älteren Luthers, ohne jedoch dessen Körperfülle zu besitzen. Der Künst-
ler war immerhin zu dieser Auffassung berechtigt, da der Reformator bereits
36 Jahre zählte, als er die Bulle, verbrannte. Unter den zahlreichen Zeugen
des Vorgangs finden sich viele anziehende Gestalten, natürlich überall der Haupt-
figur untergeordnet. Unter den Reformatoren treten der schüchterne, ersichtlich
etwas ängstliche Melanchthon und der feurige Karlstadt, unter der Gruppe des
Adels einige überaus vornehme Gestalten hervor, ebenso sind auf der andern
Seite die verschiedenen Nationalitäten der Studenten, welche die hohe Bedeutung
der Universität bezeichnen, charakteristisch dargestellt. — Was die rein malerische
Wirkung des Gemäldes betrifft, so ist dasselbe in Rücksicht auf den dafür be-
stimmten Raum in Wachsfarben ausgeführt, die an Tiefe und Leuchtkraft die
Ölfarbe natürlich nicht erreichen können; dafür aber entschädigt die ruhige, har-
monische Totalwirkung. Wie bei dem „Paulus in Athen" die vorzügliche Wieder-
gabe des Lufttons eines heißen Mittags des Südens anznerkennen war, so ist
dem Künstler diesmal in vielleicht noch höherem Grade der Ton des kalten nor-
dischen Dezember-Morgens gelungen. Aus dem leichten Dunst der Lust hebt sich
im Hintergründe die Stadt Wittenberg, namentlich die Stadtkirche und das
Augustinerkloster zu ausgezeichneter Wirkung hervor. Im ganzen wie im ein-
zelnen bekundet auch dieses Werk wieder die künstlerische Gewissenhaftigkeit, den
tiefen Ernst, die Hingebung an seine Ausgabe, welche den Künstler auszeichnen,
und es ist hoch erfreulich, daß ein solches Gemälde den Festsaal eines deutschen
Gymnasiums zieren darf.

Inhalt: Die Paramcntik und ihr Verhältnis zu den andern kirchlichen Künsten. Von Engen
Beck. Mit Illustration. — Zur Geschichte der christlichen Grabschriften. (Fortsetzung.) —
Wirkung biblischer Gemälde. — Ein Lutherbild von Händler.
Verantwortliche Redaktion: Prälat vr. H. Mer; in Stuttgart,
Druck und Verlag von I. F. Steinkopf in Stuttgart.
 
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