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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 2 (Februar 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0057
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lassen. Denn wer nach dem letzten Kirchenbautag Anspruch auf Beachtung sach-
verständiger Kreise mache» will, der muß nun schon die Güte haben, mit kühner
Entschlossenheit nicht nur Geld zu verbauen, sondern mitzuarbeiten an einem der
herrlichsten Kunstprobleme aller Zeiten. Man baut heutzutage nicht für die ab-
sterbende Generation, sondern für die, die uns eben an die Schulter herauf-
wächst. Ich war neulich bei einem Gustav Adolffest in der Industriestadt
Heidenheim in Württemberg. Da ist eine Kirche, etwas unbeholfen, aber im
Uebergangsstil der suchenden Grundrißgedankcn. Ich habe in dieser Kirche
doppelt den Hut abgezogen. Der Philosoph Hegel würde vielleicht von
solchen Kirchen gesagt haben: man fühlt in ihnen das Denken des
Göttlichen Geistes.
Und da sollten wir doch vor allem in protestantischen Gotteshäusern auch
künstlerisch und baupraktisch fühlen dürfen.
Aber nun zu der Kirche voll Peter Behrens, ohne den hemmenden Ge-
danken, daß die Hagener sie vielleicht nicht bauen. Ich möchte mit diesen Zeilen
dann irgendeiner andern Kirchengemeinde Lust und Liebe zu der Kunst von
Peter Behrens machen. Wenn ich denke, welche Widersprüche die Kirche von
Theodor Fischer in Schwabing über sich ergehen lassen mußte — heute ist sie
schon zehnmal mindestens von andern Seiten „variiert". — Vor dem Wider-
spruch braucht man sich nicht allzusehr zu fürchten.
Ich sagte, daß Peter Behrens für mich die Kapitalfrage — natürlich in
seiner individuellen Art und Sprache — gelöst habe: „welche einfachste,
aber monumentale Hülle kann ein Architekt über dem einfachsten
Kirchengrnndriß aufbauen?
Diese einfache Frage ist tatsächlich eine Doppelfrage: Welches ist der natür-
lichste Grundriß und welches ist die natürlichste Hülle? — Die Begriffe Ein-
fach und Natürlich müssen sich in der richtigen Aesthetik decken.
Ebenso ivird eine richtige Aesthenk auch Harmonie von Grundriß und Auf-
ball vertragen. Das hat Peter Behrens meisterlich gemacht.
Dieser Kirche sieht man schon von außen an, daß sie anch im dekorativen
nnd perspektivischen Jnnenraum dem Grundgesetz der Einfachheit unterworfen ist.
Schoil die Ilmrahmung und der Terraffenaufgang verzichten auf allen
ornamentalen Kleinzicrat. In dieser Skala liegt antike Tempelruhe. Wer
diese einfach ernste Treppe in sein Gotteshaus aufsteigt, wird auch keine Tiraden
iil dem Gottesdienst dieser Kirche erwarten. Aber diese Einfachheit ivird ihn
weder nüchtern noch bedrückend berühren. Aufsteigend begrüßt ihn eine drei-
bogige, heimelige Loggia, voll echter germanischer Behaglichkeit; und neben der
bürgerlich gedrungenen Loggia des Verbindungsgangs zwischen Pfarrhaus und
Kirche — schoil eine wundervolle Symbolik an und für sich — steigt ein Turin-
riese unvermittelt ans seiner linken Planke aus dem Erdreich. Jeder muß ihn
sehen. Jeden ivill er grüßen in seiner diagonal-beherrschenden Herrscherstellung.
Mit einfachsten Mitteln der Grundrißbildung ist dem Turm sein Recht ge-
geben: snrsuin oor<tn.
Und die Aesthetik des Turmes selbst? Es ist ein Kampanile, ein Bruder
 
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