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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 3 (März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0089
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daß die Kunst sich endlich wieder des vergessens» Kindes draußen vor dem Tore an-
zunehmen begann. Daher sah man denn, freilich ganz vereinzelt, hin und wieder
Gedenksteine auftauchen, denen man anmerkte, daß sie nicht nach einem gedanken-
losen Schema, sondern mit Liebe und Verständnis gearbeitet waren, die uns daher
wieder einladen, solchem Grabe näher zu treten und in Gedanken vor ihm zu
verweilen.
Die „W iesbadener Gesellschaft für bildende Kunst" unternahm
es im Herbst 1905 in einer umfassenden Ausstellung, alles in Abbildung, Modell oder
Gipsabguß zu verewigen, was bisher auf diesem Gebiet geleistet war.
Das setzte freilich auch eine innere Wandlung der Plastik und Architektur und
ihres gemeinsamen Kindes: der Denkmalkunst, voraus. Wir verdanken dies dem Vor-
gang Ad Hildebrands, der als erster wieder lehrte, die Form aus dem Zweck
des Gegenstandes und der Natur des Materials zu entwickeln, nachdem man
bis dahin für Kunst die gedächtnismäßige Nachahmung klassischer Formen gehalten
hatte, die man wie ein Geduldspiel zu neuen Kombinationen zusammenfügte. Daß
so nur eine leere und tote Formspielerei entstehen konnte, die ebensosehr des Zu-
sammenhanges mit dem Leben wie der inneren organischen Verknüpfung der einzelnen
Teile entbehrte, ward lange übersehen. Man hielt ein Denkmal für gelungen, wenn
seine Einzclformen klassischen Regeln entsprachen; ob es an diesen Ort paßte, ob es in
seiner Form den Zweck ausdrückte, dem es gewidmet war, ob seine Form steingerecht
oder vielleicht ursprünglich für Holzausführung bestimmt war und dem Steine Gewalt
antat, all das übersah man gänzlich. Nur eine so wurzelkranke Kunst, die in Wahrheit
doch Niemandem gefiel, mochten die Schulmeister der Aesthetik sie für noch so korrekt
erklären, konnte durch die Industrie (scil. der Granitwerke) vertrieben werden, wie es
Anfang der achtziger Jahre geschah.
Einige der wichtigsten Ergebnisse der Wiesbadener Ausstellung, die bei der Be-
schaffung jeder Grabanlage in Frage kommen, seien hier zusammengestellt:
Um dem Grabdenkmal zu seiner vollen Wirkung zu verhelfen und gegenseitige
Beeinträchtigung zu vermeiden, unter der heute alle aufs schwerste leiden, ist Folgen-
des zu beachten: Jede Grabanlage samt ihrer Umgebung ist als ein zusammen-
gehöriges Gesamtkunstwerk zu betrachten; die Wirkung, der Eindruck, den ein
Denkmal auf den Beschauer macht, hängt deshalb weit weniger von der Kostbarkeit
und dem Reichtum seines dekorativen Schmuckes ab, als davon, ob es sich harmonisch
diesem Ensemble einfügt. Dieser Gesamtharmonie zuliebe sollte daher zum min-
desten bei den schmalen Einzelgräbern jedeEinfriedigung unterbleiben,
nicht minder die übliche Teilung des Bodens in Miniaturbeete
und Wege, die Anbringung auffallender Pflanzen und die Aufschüttung sog.
Grabhügel. Alle diese Maßnahmen zerreißen die Bodcnfläche in zahllose, un-
ruhig wirkende, fleckenartige Einzelgebilde, so daß ein harmonischer Gssamteindruck
nicht zustande kommen kann. Beistehende Abbildung von Grassels Waldfriedhof*)
zeigt, wie unendlich wohltätig die Beseitigung dieser Dinge wirkt. In München hat
man daher die Einfriedigung der Gräber — die unglaublicherweise an anderen Orlen
behördlich erzwungen wird, z. B. in Worms, Halle rc. — ganz verboten. Man ver-
wendet daher lieber das Geld für die Einfriedigung zugunsten des Denkmals. Wo
sie nicht zu umgehen ist, oder aus besonderen Gründen wünschenswert erscheint, da
muß sie wenigstens im Einklang mit dem Denkmal gestaltet werden. Die vielfach
übliche provisorische Einfriedigung des frischen Grabes mit Steinschwellen ist daher

*) Nur wegen Schwierigkeit der Klischeebeschaffung konnten wir über den
„Münchener Waldfriedhof" noch nicht reden. Einer unserer ersten künstlerischen Mit-
arbeiter — Gasteiger-München — hat zweifellos einen großen künstlerischen Einfluß
auf die Anlage gehabt, die ich Herbst 1907 mit großer Ergriffenheit besucht habe. K.
 
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