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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 3 (März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0096
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Aber es gibt ihm seine Note zwischen den andern, den gröberen vlamischen
Naturen. Am Schluß dieser ersten Kunstepoche Flanderns, als der seelische
Gehalt der Kultur bereits in eine wesentliche Wandlung getreten war, erscheint
Quinten Massys in manchem als ein Erbe der Memlingschen Stille und Feinheit.
Das Museum in Brügge besitzt den Christophor-Altar des Willem Morel.
Die Jnnenflügel zeigen den Stifter mit den fünf Söhnen und seine Fran mit
dem dichten knienden Gedränge der 11 Töchter. Morel hat einen tüchtigen
und klugen Kopf. Der Christophor der Mittentafel hat etwas Theaterpose bekommen
und kann sich mit der schönen Würde des bekannten Dirk Bouts nicht messen. Die
Bildung der Hände des so großen Leibes ist unverhältnismäßig zart und zierlich.
Der kleine Bau, der in den Hof des Johannesspitals gestellt wurde, birgt
die schönsten Gaben dieser Kunst. Man soll sich auch das übrige Brügge gründ-
lich ansehen, oder vielmehr: wenn man nicht mit wissenschaftlichen Zielen be-
lastet, dem eigentümlichen Reiz der Stadt sich ganz hingeben. Aber die letzte
und dauernde Freiheit des Entzückens soll man sich für diesen Raum wahren.
Das lieblichste Bild ist das kleine Diptychon des Martin Nieuwenhove:
eine Madonna, die dem Jesuskinde mit der schlanken und feinen Linken einen
Apfel hinreicht. Die Jungfrau sitzt im Zimmer; durchs Fenster blickt man auf
eine Helle zart gemalte Landschaft. Auf der Seitentafel das Bildnis des
Stifters, mit betenden Händen ein junger Mann mit einfachen, ehrlichen, noch
nicht gereiften Zügen. Diese Maria ist der lieblichste Ausdruck Memlingscher
Kunst. Geiviß hat er größere Werke geschaffen. Der große Altar der mystischen
Vermählung des Jesuskindes mit der heiligen Katharina, der die eine Schmal-
seite des Raumes füllt, wird dem vergleichenden Kunsthistoriker vielleicht am
meisten zu sagen haben: die zwei weiblichen Heiligen dieser Tafel trennen sich
am weitesten von gotischer Befangenheit, in ihre Haltung kommt eine mehr natür-
liche Freiheit, die Details sind vergrößert und vereinfacht, die seelische Vertiefung
ist individualisiert. Aber unvergleichlich schön und rührend bleibt jener blonde,
zarte und liebe Mädchenkopf der Madonna des Martin Nieuwenhove. Das ist
Memling, und das ist die Innigkeit und rein menschliche Religiosität, die der
Deutsche allein besitzt unter seinen vlämischen Kunstgenossen.
Wir müssen uns hier versagen, beschreibend und erläuternd von allen ein-
zelnen Werken zu reden. Aber wir würden unser größtes Entzücken verschweigen,
wollten wir den Ursulaschrein vergessen.
Er stammt aus dem Jahre 1489. Man verehrte in Brügge seit alters
einige Knochenreste von den 11000 Jungfrauen, die mit der heiligen Ursula
das Martyrium erlitten hatten. Diese Reliquien sollten ein neues würdiges Ge-
häuse bekommen. Aus Eichenholz fertigte man einen Schrein, 91 om lang, 87 em
hoch, 33 em breit, mit geschnitzter gotischer Zier, Kreuzblumen und Fialen, in
der Form etwa eines Hauses mit steil abfallendem Dach. Die Flächen ließ
man dem Maler. Der stellte in die hohen Schmalseiten die heilige Ursula, die
ihre Mädchen unter dem weiten gebreiteten Mantel schützend birgt, und Maria
mit dem Kind auf dem Arme, von den Stifterinnen verehrt. Auf den Dächern
finden sich in Medaillons etwas geändert dieselben Motive, flankiert von musi-
 
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