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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 3 (März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0097
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zierenden Engeln. Jede Langscite wurde in drei Teile zerlegt; durch schlanke
Säulchen, die sich in Rundbogen verbunden halten. Auf sechs kleine» Flächen
sind Episoden aus dem Nomzug der Heiligen dargestellt.
Diesem Schrein vor den andern Werken verdankt Memling die Liebe, die
seinem Namen begegnet. Wer Kritiker sein will, wird sagen, daß dieser fein-
pinseligen, bunten und zierlichen Kunst die Miniaturmalerei ein Vorläufer ge-
wesen, und daß Memling hier bis zu einem gewissen Grad archaistisch gewesen
sei. Wenn man damit den Fortschritt in diesem Werk in Zweifel zieht,
leugnet man doch nicht im mindesten die ganz einzige Poesie dieser sechs kleinen
Bilder. Seinem Temperament nach hat Memling nicht das Grausige der Legende
geschildert, sondern das Martyrium, den Tod der Mädchen, auf die beiden letzten
Tafeln beschränkt. Das übrige ist zu einer zarten Idylle geworden, zu einer
liebenswürdigen, fast behaglichen Novelle. In einer außerordentlich fesselnden
Weise gelang es dein Künstler, auf diesen Bildern Menschenmassen hinzustellen,
die nicht erdrücken, nicht plump wirken, sondern allein die Folie einer Reihe
reizvoller Einzelhandlungen bilden. In den Farben ist eine leuchtende und frische
Frohheit, aber das Bunte wurde durch Memlings guten Sinn für Akkorde zu
klaren und schönen Rhythmen zusammengebunden. Man fragt sich hier nach dem
Charakter von Memlings Frömmigkeit, und mir scheint, daß er gerade in diesem
Werk sich von dem strengen Ernst und der mystischen Glut der Gotik am meisten
entfernt. Es wird ja leicht zu einem Streit um Worte, will man die Frömmig-
keit eines Malers aus seiner Kunst herausholen und sie im Gegensatz wissen
zum Werk der andern. Aber wo die andern noch herb und hart sind, grausam
in ihren Martyrien, durchaus eindruckheischcud und kirchlich in ihren Altarwerken
kommt bei Memling ein neuer Zug: er übersetzt die Evangelien und die frommen
Legenden aus der Heiligkeit ins Menschliche und es entsteht das „Genre"bild.
Das ist durchaus keine Herabwürdigung. Es trifft auch nicht das ganze Werk
Memlings, da sich ja wohl von der oder jener Schöpfung auch etwas Gegen-
teiliges sagen läßt. Aber im weiten Vergleichen ist dies das neue uud wenn
mau so will, das intime, bürgerliche Element, das durch ihn in jene Phase der
christlichen Kunst gebracht wurde.-
An schönen blauen Julitagen war ich in der Stadt. Man träumt vor
alten Häusern, man freut sich an dem Bogen mancher Brücke, man geht durch
die Kapellen und Kirchen — es ist still und weit und die Straßen sind leer
und einsam. Die Seele ist voll des Wunderbaren. In der Akademie hängt
das reifste Werk des Jan van Eyck, der herrliche Pala-Altar. Doch neben seiner
herben und doch begeisternden leuchtenden Stärke schmeichelt Memlings liebe Ein-
falt, der bescheidene kinderfrohe Reichtum eines reinen Herzens. Das macht, daß
man jener Stunden nur mit einer halb frommen Zärtlichkeit denken mag.

S
 
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