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Januar 1915

Siebenundfünfzigster Jahrgang

Nr. I


Grundsätze des evangelischen Kirchenbaus.
Eine akademische Antrittsvorlesung.
H <Gber die Grundsätze des evangelischen Kirchenbaus ist in den letzten Jahr-
I zehnten viel gestritten worden. Allerlei Schriften sind darüber erschienen,
auf Kirchbaukongressen ist darüber verhandelt worden, Kirchenregie-
rungen haben in Leitsätzen und Ratschlägen ihre Meinung dazu geäußert. Die
Dinge, um die es sich dabei handelt, lassen sich wohl am besten zusammenfassen in
drei Fragen. Hat in evangelischen Kirchenbauten die Kunst ein Recht? N)ie
sollen evangelische Kirchen angelegt und eingerichtet sein? In welchem Stil sollen
evangelische Kirchen gebaut werden? Wir wollen uns diese Fragen kurz zu be-
antworten suchen.
l.
hat in evangelischen Kirchenbauten die Kunst ein Recht? Die Reformation hat
nichts mit Kunst zu tun gehabt. Sie war eine rein religiöse Bewegung; sie
wollte nichts als das lautere Evangelium. Wo ihr schien, daß Werke der bildenden
Kunst dem Evangelium hinderlich seien, hat sie rücksichtslos damit aufgeräumt.
Die Bilderstürme empfinden wir heute als Roheiten, die weit übers Ziel gingen.
Aber die grundsätzliche Gleichgültigkeit gegenüber der Kunst, die wir auch bei
einem künstlerisch so hochbegabten Manne wie Martin Luther beobachten, wird
der evangelischen Kirche immer eigen sein müssen. Denn sie ergibt sich aus dem
Wesen des Christentums. Im Christentum heißt es: eins ist not. Das Leben
mit seinen Gütern, die Welt mit ihren Schätzen gehören zu den Dingen, die
nicht not sind. Man muß alles lassen können um Gotteswillen. Das gilt natürlich
auch von der Kunst. Der Glaube fragt nicht nach Kunst; kirchliche Kunst braucht
er nicht. Das Wort Gottes kann, wie Luther sagt, auch „unter einer grünen
Linde oder Weiden" gepredigt werden. Wenn wir Kirchen bauen, so geschieht
es, damit die predigt gefördert werde, nicht damit die Kunst gefördert werde.
Es liegt uns nicht das mindeste daran, daß sich unsere Kirchen an Kunstwert
mit den Domen des Mittelalters messen können. Sie sind nicht Denkmäler,
sondern Zweckbauten. Sie müssen einfach sein.

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