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und in seiner Bibliothek, wir wissen auch
aus manchem Gespräch, daß ihm das moderne
England mit seiner Oberflächlichkeit sogar
eine gewisse Abneigung einflößte, obwohl
er sich in pedantischer Mühsal seine Pflicht,
wie er sie verstand, zu tunbefließ. Etwas
Unfreies haftete ihm allezeit an, ein inner-
licher Groll sprach aus der ganzen Art dieses
Unechtes von Downing Street. Mag sein,
daß er schon längst des Lebens überdrüssig
war, ehe ihn der Tod seiner Frau umwarf-
Übrigens wird seinKbtreten nichts verändern;
das Reuterbüro und das Spstem Reuter
bleiben bestehen. Aber sie werden uns nicht
mehr viel schaden. Der Krieg hat zu lange
gedauert, um nicht selbst bei den naivsten
der Antipoden den Glauben an die Allmacht
Englands und die Unfehlbarkeit Reuters
erschüttert zu haben.
Über Krieg und Kunst ist während des
Kriegs schon manches Wort geredet und
geschrieben worden. Zu den bemerkenswerte-
sten Äußerungen gehören die von Gustav
pazaurek und Konrad Lange. Vom katho-
lischen Standpunkt ist eine ausgezeichnete
Broschüre bei Herder in Freiburg erschienen :
„Der Krieg und die deutsche Kunst", von
Momme Nissen (l Mark). Auch davon bald
weiteres! — Sm Stuttgarter Goethebund hat
der Herausgeber gesprochen über „Weltkrieg
und Volkskunst". Der Vortrag wird vom
Stuttgarter Goethebund gedruckt. — Heute
einige beachtenswerte Worte vonpazaurek
(Patriotismus, Kunst und Kunsthandwerk.
Deutsche Verlagsanstalt. 50 Pfg.).
,,weit mehr als bisher wird dann die
ganze bewohnte Erde zu uns herüberblicken,
um unsere mustergültigen Errungenschaften
anzustaunen. Aber dies bürdet uns auch
viele weitere Pflichten auf, die wir gewiß
gerne auf uns nehmen wollen, wir werden
noch mehr als bisher arbeiten, fleißig und
ausdauernd, planvoll aus allen Gebieten
arbeiten und uns von keinem anderen Volke
darin übertreffen lassen. Aber wir wollen auch
die Früchte dieser Arbeit sehen und uns an
ihnen erfreuen, wenn uns das Schicksal dazu
ersehen hat, im Kulturleben der Völker
die Führung zu übernehmen, dann
wollen wir diese große, stolze Aufgabe nicht
ausschlagen; wir wollen dies nicht in dem
Sinne tun, daß wir auf alle verwaisten

Throne deutsche Prinzen setzen, deren Nach-
kommenschaft schon so oft ihre Herkunft
vergessen hat, oder daß wir selbstlos andere
Kriegführen lehren, die sich dann undank-
bar gegen uns wandten; wir wollen nicht
nur als Fabrikanten und Kaufleute auftreten,
die ihre tausendfältigenErzeugnisse der ganzen
Welt zuführen, sondern vornehmlich durch
die Wissenschaft, durch die freien und tech-
nischen Künste nach besten Kräften Gesittung,
Kenntnisse, Fähigkeiten verbreiten helfen,
mit echten Schönheitswerten das allgemeine
Glücksgefühl zu steigern trachten.
Wer soll aber dieser schweren Aufgabe
gewachsen sein? Der Berserker-Wüterich oder
der politische phraseur, der Anathema-
prediger oder der „verelendete" Proletarier,
der Iägerhemd-Pedant oder der Windbeutel-
Schöngeist, der Kirchweih-Radaubruder oder
dertranszendentale Blaustrumpf? —Mit einer
Falstaff-Kompagnie schlägtman keinen Feind.
Alles, was einseitig und kleinlich ist, mag
sein bescheidenes Plätzchen wie bisher aus-
füllen, bis weiterblickende und stärkere Kräfte
zur Ablösung erscheinen. Für Weltmis-
sionen ist ein Weitblick erforderlich.
Der Bierbankspießer mag ein ganz brauch-
barer Staatsbürger sein, aber die Entschei-
dung, bis zu welcher Grenze „Luxus" zu
dulden sei, darf nicht in seine Hand gegeben
sein. Nur wer für wahre Kunst, wenn auch
nicht gleich Verständnis, so doch wenigstens
aufrichtige Zuneigung oder Liebe werktätig
dargetan hat, sei als Streiter willkommen,
wem die monumentale Größe eines grie-
chischen Tempels oder der Sixtinadecke von
Michelangelo, eines romanischen Domes oder
der vier Apostel Dürers aufgegangen sind, wer
die schlichte Anmut einer Raffael-Madonna,
einer Holzstatue von Riemenschneider oder
eines venezianischen Glases begriffen hat, wer
die rauschendeKraft einer Rubensgöttin oder
einer barocken Iesuitenkirche, eines Prunk-
harnisches oder eines Danziger Schrankes
zu würdigen weiß, wem ein velazquez, Hals
oder Vermeer van Delft ihre Geheimnisse
ebenso offenbaren wie die Lmails eines
mittelalterlichen Reliquienschreines oder alt-
flandrische Tapisserien, wer auch einen Sinn
hat für die zarten Wirkungen eines Klein-
meisterstiches, einer Renaissancemedaille oder
eines japanischen Schwertstichplattes, wer
schließlich noch der tändelnden Grazie eines

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