Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Diesen seinen sonderlichen willen zur Volkskunst hat Gellert in die Worte
gefaßt, daß ihm der niedrigste Mann von gesundem verstand würdig genug sei,
ihm gute Wahrheit zu sagen und edle Empfindungen in seiner Seele rege zu machen.
Lessing hat von Gellerts Fabeln gesagt: „Ich sehe, daß es nur einem Gellert gegeben
sei, glücklich in Lafontaines Fußstapfen zu treten." Gegen diese Hochschätzung
des Kritikers ist es belanglos, wenn Gellert selbst kein Nachahmer Lafontaines
sein will: „Meine Kunst im Erzählen war Glück, Natur und eine gewisse Be-
geisterung. Ich empfand das Schöne, ohne zuweilen zu wissen, daß es das
wahre Schöne war." wenn Lessing für Gellert die Nachfolge Lafontaines als
Ehrenamt anrechnet, so gilt Gellert auch Lessings Anerkennung gegen Lafontaine,
von dem er sagt, daß Lafontaine aus jener vichtungsart der alten Schriftsteller
ein anmutiges poetisches Spielwerk gemacht hat. Neintaler sagt in einem Auf-
satz über Gellert, daß Lafontaine und Gellert eine gewisse epische Breite und
treuherziges Wohlgefallen an Schmuck und Zierde der Nede gezeigt haben.
So brauchen wir uns also auch vom Standpunkt der modernen Ästhetik aus
der hohen Fabelkunst Gellerts nicht zu schämen, ja Kraft jener Kunsttheorie, nach
welcher Zweck der Kunst ist, Lust und Vergnügen zu wecken, ist Gellerts Kunst
fähig — nach Lessings Wort über Lafontaine: „uns zu belustigen und zu ver-
gnügen".
Daß Gellert mit dem Unterton seiner religiös sittlichen Weltanschauung den
Inhalt und den Zweck seiner Fabeln seinem innersten Wesen entsprechend auf
höchste Lebensfragen in oft harmloser Form stimmt, wird von keinem Kritiker
beanstandet werden können, der den Grundsatz anerkennt, daß der wahre Dichter
nur aus dem Schatze seines eigenen Seins heroornimmt perlen und Goldgeschmeide.
Gellert, der fromme Mann, hat einen ehrlichen haß gehabt auf Frömmler.
In einem Lustspiel: „Die Betschwester", zieht er zu Felde gegen Scheinheiligkeit, die
Härte und Lieblosigkeit unter einem Dach hütet. Das ganze Heer menschlicher
Torheiten stellt Gellert an den Pranger mit oft fast gutmütigem Humor. Gellert
ist ein ausgezeichneter Kenner der Bauernmoral und der Herrenmoral. Auch
der Weiblichkeit sagt er bittere Wahrheiten, er, der Junggeselle. Die Frauen
haben's ihm aber nicht übel genommen, sondern als Zeitgenossinnen ihn hoch ver-
ehrt. Gellert hat dem damaligen in engen Schranken liegenden Vürgerstande
das Denken über sich selbst beigebracht, hat ihm das schwere Leben in die
höhe des überwindenden Humors geführt und den höheren allgemeinen Sinn im
menschlichen Kleinleben dem deutschen Volke gedeutet. - Biedermann wird recht
haben: „Der Instinkt einer Nation, wenn er sich mit solcher Stärke und Ein-
mütigkeit, wie in diesem Falle ausspricht, kann unmöglich völlig irre gehen."
Und Friedrich der Große hat gerade die leichte Faßlichkeit von Gellerts Dichtung
gepriesen: „Er hat etwas so Koulantes in seinen Versen, das verstehe ich alles".
Gellert hat in seiner akademischen Tätigkeit geschmackbildend gewirkt. Auch
Goethe ist in Leipzig zu seinen Füßen gesessen und hat Gellerts theoretische und
praktische Unterweisung der Studierenden im Gebrauch der deutschen Sprache
genossen, von den l75l herausgegebenen Musterbriefen Gellerts sagte Lessing:
„Die Briefe des Herrn Gellerts selbst sind durchgängig Meisterstücke, die man
204
 
Annotationen