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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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19. Heft
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Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0789
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AUSSTELLUNGEN

der Ausftellung gehört, Maurice Weils „Broderies
desVosges“, Tifchdecken in weißer reliefartiger
Ajourftickerei.

Die Spißenkunft ift durch die Ecole dentelliere
„La Gergovia“ Alfred Lescures vertreten, die fich
im allgemeinen an alte Stilmufter hält. Ein be-
wunderter Fenftervorhang von Prive zeigt eine
Figurenkompofition im gotifchen Stil; künftlerifch
wertvoller ift ein Store in Netztechnik von Mez-
zara. Als Kuriofität notieren wir die naturaliftifch
farbige Darftellung von Rofenzweigen in vene-
zianischer Technik von Ch. Thiebaut, ein Verfuch,
der die Nachteile der Nachahmung einer natura-
liftifchen Zeichnung in Spitjentechnik befonders
deutlich macht, und dem wir in diefer imitatori-
fchen Form keine Zukunft wünfchen. Wie in
der Spißenkunft die Farbe zu verwenden ift und
wie feineWirkungen getönte Mufter haben können,
zeigen die Arbeiten Paul Merescots. R. K.

ZÜRICH Im KUNSTHAUS findet vom 8. Sep-
tember bis zum 20. Oktober eine Gedächtnis-
ausftellung Albert Weltis ftatt. Die viel-
feitige und außerordentlich reiche Vertretung,
die hier der, im Juni diefes Jahres verftorbene,
Künftler gefunden, geftaltet die Ausftellung zu
einer beredten Ehrung des einftigen Zürcher Mit-
bürgers, aber auch zu einer unerfchöpflichenFund-
grube für den Kunftforfcher, dem die eigenartige
und tiefgründige Perfönlichkeit Weltis als eines
der anregendften Probleme fchweizerifcher Kunft-
hiftorie erfcheinen muß. Es ift nicht das geringste
Verdienft diefer Ausftellung, daß fie auch weitern
Kreifen die unzähligen formalen Tendenzen, die
rein künftlerifchenEntwicklungswege und rein ma-
lerifchen Fähigkeiten Weltis klar vor Augen führt.
Es wäre unrecht, in Welti den Malerpoeten, den
Gedarikenmaler- und Radierer zu unterfchätjen;
das Schwergewicht feiner Bedeutung liegt ja auf
diefem Gebiete, wo der Schüler Böcklins fein
Fortfetjer wurde, wenn auch mit anderm Stoff-
gebiet und in einer mehr verfonnenen, idyllifchen
als heroifch-phantaftifchen Richtung. Welti wird
in diefem Sinne ftets als echt deutfcher Dar-
fteller, als ein Geiftesverwandter Gottfried Kellers
feine eigenfte Geltung bewahren. Die Gedächtnis-
ausftellung läßt mit hunderten von Zeichnungen
und Farbenentwürfen, welche auf ewig reges
Phantafiefchaffen und Sinnieren deuten, keinen
Zweifel darüber; die bekannteren Bilder des
Meifters, die hier aus Mufeen und aus Privat-
befit} vereinigt find, führen faft alle in die
Welt des Traumes, des Märchens, der Poefie.
Was aber die Ausftellung ebenfo nachdrücklich
zeigt, ift der weite Weg, den der Künftler immer
wieder befchritt, um aus dem erften Banne der
Vorftellung in die Freiheit künftlerifch abgerun-

deter Werke zu gelangen; ein Ringen mit der
Form, mit der eigenen Fabulierluft, Klärung zur
Einfachheit und Farbenharmonie, Abftreifen
fremder Einflüffe und Stählung der beftimmt
umfchriebenen Eigenart: all das ift unverkenn-
bar. Daß Welti nicht nur malender Dichter war,
fondern vor allem Maler, Zeichner und Radierer,
beweifen ungezählte Dokumente. Vor allem
find Landfchaftsftudien aus dem Nachlaß aus-
geftejlt, die in Paftell und Tempera eine weiche,
rein malerifche Faktur aufweifen, die in ihrer
hellen, freien Gefamthaltung die unmittelbaren
Augenerlebniffe des Malers während Jahrzehnten
begleiten. Auch in der Zeichnung und Radie-
rung ift früh eine durchaus malerifche, auf
Maffenwirkung und ftarke Kontrafte ausgehende
Mache nachweisbar; und doch zeigen die höchft
inftruktiven Jugendwerke, welch einen befchwer-
lichen Weg Welti auch hier zurücklegte, bevor
er frei geftalten konnte; er hatte eine faft klaffi—
ziftifcheTradition, Einflüffe von Flaxmann, Ret^fch,
Schwind zu überwinden, um aus ftreng linearer
Anfchauung zu malerifcher fich durchzufeßen.

Im Gefamtwerk der Gemälde, das in der Aus-
ftellung mit mehr Gewicht vertreten ift als das
der fpäterhin leichter wieder zu vereinigenden
Graphik, erhellt die Entwicklung aus der Löffß-
fchule zu einer wohl unbeholfenen, doch lichten
Faktur, dann zur kontraftreichen, innerlich ver-
tiefteren der Böcklinzeit, von diefer zu tonigem,
warmem Kolorit, dem fpäter eine farbig immer
reichere, klarere und oft auch hellere Haltung
folgt. Die Tempera bringt eine Durchsichtigkeit
und Reinheit der Farben, welche neben den
frühem Ölbildern als ein Neues feffelt und als
lebten Ausdruck von Weltis Streben nach Form
und Klarheit erfcheint. Ift Welti in den Bildern
oft weniger Maler als in den Studien: das
Streben nach Abrundung und Schönheit der
Farm verläßt ihn nie; nur dann und wann ift
die unendlich erdauerte Arbeit in zu viel Detail
oder mangelnder Frifche fühlbar; das Geiftige
und Geniale aber packt zumeift neben und
über den künftlerifchen und handwerklichen Pro-
blemen, an denen die etwa 70 Bilder, die hun-
derte von Studien und Zeichnungen überreich
find. — Die wohlüberlegte Dispofition der Zürcher
Ausftellung ermöglicht es, mit den Hauptbildern
ganze Reihen von Entwicklungsftadien zu ver-
gleichen, die Läuterung, gelegentlich auch die
Komplikation der Vorftellung und ihrer Wider-
gabe zu ftudieren.

Eine unfchäßbare Hilfe ift bei folcher, über-
aus lohnender, Betrachtung der große illuftrierte
Ausftellungskatalog, in welchem Dr. Wart-
mann, der Konfervator des Zürcher Kunfthaufes,
ein mit wenigen Ausnahmen vollftändiges Oeuvre-

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