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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 9
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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0455
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Ausheilungen

Monticellis, van Gogh-3eichmmgen. Keine
großen Dinge, aber ein Löwenbild dod) von
Delacroix, Dann deutfche 3eichnungen von
den Nazarenern bis zu Menzel, wobei über
das allenthalben zu Findende befonders eine
größere Landfcßaft Franz Kobells, eine faßt
fpontane Federzeichnung Genellis und ein
poffierliches Blatt von Schadow herausragen
und wenig bekannte Künftler wie Fr. Gauer-
mann und Fjeinz Burger fich reizvoll ab-
heben. Dann ein Sprung zu den Höhungen
eines George Grosz, was fo unmittelbar auf
Schnorr von Carolsfeld dod) vielleicht ins
Gedärm fd)lägt. Entzückende Studien von
Rudolf Großmann zeigen fieh dem benach-
barten Klimt menfd)lich und graphifd) über-
legen. Von Pech ft ein grelle Dujjendlandfchaften,
Fabrikware. Abfd)ließend Bekanntes vonMund),
am hinreißendften vielleicht die Holzfchnitte der
lebten Jahre, die wie von ftummen Tlehrufen
zerrüttet fcheinen. — Einzige Neuerfcheinung in
diefem Programm Rene Paresce, mit halb-
kubiftifchen Stilleben,Kompofitionen ufw., kleinen
Landfchaften in Ärt Derains ufw., kurzum die
abgeleierte Neuparifer Sorte. Unvermittelt neben-
einander grob Gekliertes und bijouhafte Frei-
malerei, Aufdringliches und Diskretes. Drei,
vier hübfche Bildchen ausgenommen, tro^ reiz-
voller Details auch fonft, eine recht fatale An-
gelegenheit.
Tlohl nur der holländifchen Valuta, die fid)
fogar Plakatanfchläge leiften kann, verdanken
wir die Bekanntfchaft mit den faden, inhaltlich
wie ausdrudcsmäßig gleich wefenlofen Stilleben
und fonftigen Kompoptionen von Ad. Lubbers,
die fid) in J. B. Neumanns Graphifchem
Kabinett eingemietet haben.
TIalter Gramattes Anfänge veranlaßten
mich vor einigen Jahren zu einem einführenden
Tlort, das es mir heute doppelt fdjwer und
doppelt zur Pßicht macht, den peinlichen Ein-
drude feiner Ausftellung bei Goldfd)midt&
TIallerftein zu pxieren. Die literarifche Note
war bei ihm ftets vorhergehend, die Malerei
als folche ohne rechte Qualität, ja leer. Die
Gefahren fenfationeller Regie konnten fchon da-
mals nicht verfchwiegen werden. Von den In-
ftinkten künftlerifcher Sinnlichkeit nicht behütet,
ift Gramatte nun ganz auf Mädchen aller Art,
ted)nifd)e und exprefpve, verfallen. Die bron-
zierende Grundierung, dasönwefen derSonnen-
und Laternenßrahlen und fonftiger Spiegeleffekte,
eine Sentimentalität der geröteten Lider und
hageren Schultern, der knöchern-fenßblen Finger
ufw. gehören gleichermaßen zu folchen billigen
Kunftgriffen, deren Aufgebot die formale Dürf-
tigkeit und die Stümperei der farbigen Behand-
lung nicht vergeffen machen kann. Selbft im
Aquarell, das fid) fehr lodeer gibt, aber unfrei
in jedem Fleck, ohne jede Feinheit des Fließens
ift, nur vereinzeltes 3ufallsgelingen. Der Einfall

war ehedem viel intereffanter, ift heute in der
Herausforderung des Mitleids geradezu plump,
zumal ihm keine geftaltende Form zu Hilfe
kommt. Am eheften bekundet fid) Talent in
radierten Bildniffen. Auch ße pnd recht abßcht-
lid) aufgemad)t, bringen immerhin Individuelles
zum Sprechen. Gramatte muß gründlich arbeiten
und die alten Meifter ftudieren, um aus diefer
Situation aufzukommen.
TI. R. Huth, der gleichfalls zur zweiten Ge-
neration der „Brücke“ zählt, erfcheint in feinen
daneben ausgelegten Paftellen aus dem Artiften-
leben als unvergleichlich energifchere Begabung.
Da ift lakonifche Ausdruckskraft geftaltungspche-
rer, in der Gebärdenerfaffung fragender ümriffe,
da ift koloriftifd)ßEntfd)iedenl)eitund Charme. Re-
alität und Groteske, das ausgeleierte und zugleich
kraffe Dafein diefes Milieus tritt als menfd)lid)es
Sd)ickfal entgegen, ohne daß viel Tlorte ge-
macht wären, gar fentimentale. Knappheit ver-
eint ßd) mit Verve. 3uweilen fcheint Huth ver-
fud)t, die erft errungene Unabhängigkeit zu-
gunften graphifcher Annäherung an E. L. Kirchner
aufzugeben. — Eine erhebliche Bereicherung
unferer Skulptur pnd die an gleicher Stelle ge-
botenen Arbeiten Guftav Tlolffs, zumeift in
mafßvem Metall ganz gedrungen und kompakt
geformte Akte und Giere, die nichts von Guß
an pd) haben, fondern der vollen Schwere der
Subftanz entfehmiedet pnd. Gerade darin be-
ruht jedoch ein Reiz rund in die Hand pd)
drängender, urfprungnaher Gewichtigkeit, dem
eine breite Einfachheit des Gebahrens, eine
heitere Gefchloffenheit des Stehens und Liegens
entfpricht. Unverkennbar ein hartnäckig wer-
kender Ernß, der unartiftifdje, unverfehrbare,
markige Form zeugen will, und deffen Refultate
in ßgürlid)er Plaftik, wie in der Geftaltung von
Congefäßen mit einfältigem Cierzierrat, wie in
der Gewinnung vom Stock druckbarer Schrift-
bilder fchon über das Stadium des Experiments
hinausgediehen pnd. Tlilli Tlolfradt.
London
Kürzlid) fanden zwei Ausheilungen moderner
Holzfchnitte ftatt, und eine gefd)id)tlid)e Schau
ift gerade in der Nationalgalerie für Britifche
Kunß (Ghe Gate Gallery) eröffnet worden.
Diefe ift von größter Tüchtigkeit, denn pe zeigt
Illuftrationen von Künftlern aus der 3eit vor
Raffael für Bücher und Mappenwerke, die wäh-
rend einer Periode von ungefähr 20 Jahren, vom
Jahre 1857 an, als die berühmte Ausgabe der
TIerke von Gennyfon durch Moxon veröffent-
licht wurde, herauskamen. Die Holzfchnitte aus
jenen Gagen find nur mittelmäßig, außer denen
des großen Nachfolgers J. Bewecks, TI. J. Linton,
aber doch fo, daß das wahre Intereffe an diefer
Sammlung mehr den Holzfd)nitten als den Re-
produktionen gilt. Es ift intereffant zu wiffen,
daß TI. J. Lintons Bruder, H- CU- Linton, in diefer

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