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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 15.1923

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Heft 9
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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.39945#0454

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Äusftelltingen

ßetjt da freilich an rhythmifcher Eleganz zurück,
wie er denn im Gefüge oft arg fcßlottert. Seine
trübe Farbe und Beengtheit laffen ihn bei folchem
Vergleich abfallen. Aber es fteckt viel Poefie
in feinen kleinen Bildern, und vollends im Qolz-
fchnitt, in 3ei<hnungen offenbart Crodel erftaun-
lid) viel formalen Einfall, Fjier befticht fchon
das aparte Kolorit, die tonale Gewichtigkeit des
Handdrucks; köftlich durdhdringen einander
Humor und Chimäre, die Erzählung gewinnt
pch aparte Silhouetten und eigenartige Ara-
besken von hoher Eindringlichkeit ab. Man
könnte von graphifcher Dialektdichtung fprechen,
denkt an perfifche Volksbücher. Jedenfalls eine
Kunft, die liebenswürdig ift, ohne fchal zu wer-
den, geiftreich, ohne gekünftelt zu wirken, ein-
fältig, ohne daß es zur Koketterie würde, heiter,
ohne der Schwere dod) zu entbehren.
Im Änfdpuß fah man R. Scheibe, deffen ge-
fchmackvolle, nicht eben eigenwillige Plaftik ja
bekannt ift. Seine bronzenen Äffen ßind vor-
züglich, in der Körperform unauffällig verein-
facht und gefchloffen, ohne darum an charak-
teriftifcher Lebendigkeit verloren zu haben. In
einigen füllen Köpfen, recht frei anzeigenden
Geftalten fcheinen gefällig kurvierende Neigungen
ziemlich getilgt. Bildnerifches Ingenium fpüre
ich nirgends, nur Sauberkeit und einen an fleh
[ehr fympathifchen Feinfinn, auch in Äktzeid)-
nungen bewährt. Hier fcheint Scheibe fogar
mehr von [ich zu geben als in der Skulptur, in
deren Reich er vorläufig pch befcheiden muß,
zu den rühmlichen Fertigern, nicht aber zu den
urfprünglichen, ftarken Voranträgern zu zählen.
Aquarelle zeigt die Kunßhandlung f)e\\er.
Recht angenehme, unverzagte Blätter von Ba-
ladine, neben denen Rothe duftarm, krittelig,
ziemlich unficher wirkt. Frey tag gibt fich recht
kühn, erzielt manchmal einen fd)önen oufammen-
klang kräftiger Farben, führt aber das Schema
der „Brücke“ kaum ins Eigene. Die einzelnen
Kompartimente wollen pch nicht feß aneinander-
fchüeßen, der Formenzwang fehlt, der Strom,
der bände und zum Schwellen brächte. Nolde
ift, wie es bei folcher zufallsmäßigen Äusftellung
nicht anders fein kann, fehr ungleichwertig ver-
treten, auch mit ein paar mehr dekorativen Ge-
mälden. Die abendliche Palmenlandfchaft iß
ein Beifpiel von billiger Ulirkfamkeit, wie denn
Nolde aus gewiffen robuft-tropifchen Effekten
Kapital zu fchlagen [ich mitunter begnügt. Da-
neben dann Durchbruch des Genialen, wenn ein
paar ungeftüme ttlifcher des Cufchpinfels den
haftigen, qualmenden Fifdjerdampfer durch das
tüaßer ftoßen. Unter mäßigen ein einzigartiges
Blatt mit roten Segelbarken, myftifch glühend,
unergründlich. Schließlich Radziwill, den man
an diefer Stätte befonders hätfcbelt. Seine or-
namental durch mufterten Landfchaften pnd Aus-
geburten einer bunten Laune, ßackernd bewegt,
ganz amüfant. Man darf ihre Streifungen aber

nicht für Dynamik nehmen, ihre Unbekümmert-
heit iß noch lange nicht Eraumtiefe. Das In-
fantile iß bei Radziwill nicht verfunken-ftill, fon-
dern krähend - unruhig. Ulenn es jetjt bild-
mäßiger erfcheint, eine archaifierende Stilabpcht
die Formen gleichfam ausfehneidet und eng
gegeneinander klebt, fo pel)t man die fchwei-
fende Phantape entßogen, das Spielerifche als
Hülfe zurückgeblieben. Der Hang zum Ornament
fcheint ftärker als die Urfprünglichkeit der inneren
Bilder. Statt Difziplin kommt etwas wie Ge-
fchmack auf, zunächft angenehm berührend, aber
letztlich doch enttäuschend.
Im Buch- und Kunftladen von Cwardy Bilder
von Ulilly Baumei ft er, jene wohlgezirkelten
Konßruktionen aus in pch gleichmäßig einge-
färbten, allenfalls rhythmifd) geßreiften Vier-
ecken, Dreiecken und auf ihre Geometrie redu-
zierten menfchlichen Geftalten, Rümpfen, Köpfen.
Mit äußerfter Sauberkeit, die über alle Reize
einer exakten Reißbrettzeichnung, einer ßatifti-
fchen Veranfchaulichung verfügt, konftellieren
fich diefe Figuren, überfeßneiden und ver-
fdjränken pe fich. Da und dort meint man,
Parallelismen, Äßonanzen, reziproke Analogien
oder fonft welche artikulierten Verhältniffe zu
fpüren, ahnt auch wohl die Einheit diefer mathe-
matifch-anatomifchen Schematiperungen, fogar
eine die eigentümlichen Verbindungsßrahlen und
Klammern überholende kontrapunktifche Einheit.
Ich gedenke nicht, den Sinn diefer zuchtvollen
Gebilde anzuzweifeln, weil ich ihn nicht feparf,
nicht im einzelnen durchfehaue. Aber ift es ein
künftlerifcher, feelifch belangvoller? Id) geftehe,
die Problematik diefer amputierten Mannequins,
die als extrem plaßifche Einfprengfel im ßädngen
Linearismus des Übrigen ftehen, nicht auflöfen
zu können. Eine neue techniziftifche Ornamentik
von pikanter Sorgfalt der Erfdjeinung, tatfäd)lid)
auch fchon im gebatikten Behang am plaup-
belßen bewährt, unverkennbar zur Ärchitekiur-
gliederung hinßrebend, würde mir noch am
eheßen als Refultat diefer Verfuche einleuchten. —
Übrigens pndet man in dem eigenartigen Laden
von Cwardy, der die Farbe romantifcher Mo-
derne in die ge[d)äftige Straße trägt, Anfälle zu
einer ftreng heutigen und doch nicht modifchen
angewandten Kunft, wie pe fonft in Auslagen
kaum noch fieptbar werden. Vor allem manche
der gepickten Decken und gepickten ttland-
teppiche aus den tüerkßätten des Bauhaufes
und ChierfchsKunftgewerbefchuIe beßechen durch
Erfindung, Variationsreichtum des Materials wie
der Verarbeitung und aparte Harmonien. Aber
auch Metallarbeiten und allerlei bunte Sächelchen
befonderen Gepräges kriechen hier zwifchen den
Büchern herum.
Die Galerie Luz hat eine wenig organifche,
aber an fchönen Stücken nicht arme Frühjahrs-
ausßellung eingerichtet. Ein Raum überrafcht
mit Franzofen des 19. Jahrhunderts, girrenden

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