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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

DOI issue:
Heft 23
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Neugass, Fritz; Waroquier, Henry de [Honoree]: Henry de Waroquier
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0705
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Henry de Waroquier

Stilleben mit Austern. 1924

HENRY DE WAROQUIER

VON FRITZ NEHGASS

Um das Wesen der Kunst Henry de Waroquiers zu erfassen, darf man nicht die allge-
meingültigen Formeln verwenden und nicht mit den üblichen Maßen messen, die wir
bei der zeitgenössischen französischen Malerei zu gebrauchen gewohnt sind. Alle Vor-
bedingungen von Tradition und Schule, von Einflüssen und künstlerischen Revolu-
tionen, kurz, alles was Paris zum Mittelpunkt der modernen Kunstentwicklüng werden
ließ, trifft für Waroquier nicht zu. Er ist Autodidakt, Selfmademan, ein Abseitiger,
der fern von allen Theorien und fern von dem Lärm der großen Schulen und der
großen Schlag worttrommel sich in strenger Abgeschlossenheit zu bilden und seinen
Stil zu finden bemüht war. Er betrat nie die Schwelle einer Kunstakademie und suchte
stets direkt von der Natur zu lernen.
Ein Jahr jünger als Derain und zwei Jahre älter als Utrillo gehörte er zu jener Gene-
ration, die einen Matisse, Vlaminck, Modigliani, Dufy und Picasso zu ihren Führern
zählte und die in heftigen Debatten um Anerkennung ihrer neuen Ideen kämpfte.
Und Waroquier, der bildende Künstler, lebte mitten unter ihnen, war taub gegen den
Lärm dieser Eiferer und blieb völlig unabhängig in seiner Kunst. Seine Natur war zu
stark, als daß ihm diese Vielspältigkeit der neuen Probleme hätte berühren und sein
Wille zu beherrscht, als daß andere Kräfte ihn hätten bezwingen können. Seine geistige
Haltung blieb durchaus eklektisch.
Als Sproß einer alten aristokratischen Familie hat er sich stets abseits gehalten von
dem lauten Getriebe der Massen und sich an den Kulturen ferner Länder gebildet.
Am stärksten wirkten auf ihn die mächtigen Pagoden indischer Tempel und die feine
nüancierte Kunst der alten Japaner. Als Waroquier um die Jahrhundertwende seine
ersten Bilder malte, waren es Schöpfungen ohne besonders ausgeprägten Charakter,
Werke eines Suchenden, der von sich selbst aus seinen Weg erzwingen und die Beherr-
schung der Materie erobern wollte. Er begann wie alle seine Zeitgenossen unter dem

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