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Clément, Charles; Clauß, Carl [Oth.]
Michelangelo, Leonardo, Raffael: mit 40 Holzschnitten und zwei lithographirten Tafeln — Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.71514#0055
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Michelangelo.

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schränkten Rahmen genirt: er brauchte weite Räume, wo er seiner kühnen
Phantasie die Zügel konnte schießen lassen. Als Maler sollte er seine
Kraft nur an dem Gewölbe der Siptina zeigen, und ich glaube, daß er
mit dem, was er von der Oelmalerei gesagt haben soll, die ganze Staffelei-
malerei gemeint hat: „daß sie nur für Weiber gut sei." Man hat ihm
häufig vorgeworfen, daß er, indem er im Hintergründe dieses Bildes nackte
Gestalten angebracht, den Charakter der religösen Malerei geschädigt habe.
Es ist unbestreitbar, daß er von da ab mit den Traditionen der kirchlichen
Malerei des Mittelalters und der ersten Zeit der Renaissance brach und
daß er in der Folge noch viel mehr damit gebrochen hat. Jedoch ist dabei
zu bemerken, daß vor ihm Luca Signorelli ganz dasselbe gethan, wie man
es in seiner Madonna in der Galerie der Uffizien, und noch viel besser
in seinen wundervollen Fresken im Dom von Orvieto sehen kann. *)
Im Frühjahr 1503 beschloß der Magistrat von Florenz, den Rathssaal
im Palazzo vecchio mit Malereien schmücken zu lassen, und beauftragte
Leonardo da Vinci, der damals auf dem Gipfel seines Ruhmes stand, die
eine der Wände zu verzieren. Leonardo hatte schon Hand ans Werk ge-
legt, als Michelangelo den Auftrag erhielt die andere Wand zu malen. **)
Es war also nicht, wie man allgemein glaubt, eine Art von Concurrenz,
in welcher der alternde Schöpfer des Mailänder Abendmahls von seinen
jungen Rivalen besiegt worden wäre. Diese Malereien kamen nicht zur Aus-
führung. Leonardo wurde, nachdem er mit seiner Arbeit ziemlich weit vor-
gerückt war, derselben überdrüssig und gab sie auf. Nicht einmal der
Karton, den er dazu gezeichnet hatte, ist auf uns gekommen: als Mittel
diese Composition zu würdigen, ist uns nur ein von Edelinck gestochenes
Fragment nach einer Copie von Rubens geblieben; doch würde man sich
vergebens mühen, durch diese Interpretation des flämischen Malers das

*) Vasari erzählt bei dieser Gelegenheit die wieder aufgewärmte Anecdote von
Tarquinius und den sibyllinischen Büchern, welche zeigt, mit welcher Festigkeit Michelangelo
die Würde seiner Kunst vertrat. Er hatte das Bild für einen reichen Kunstliebhaber unter
seinen Freunden, für Agnolo Doni, ausgeführt und schickte es ihm mit einem Zettel, auf
dem er 70 Ducaten für seine Arbeit verlangte. Agnolo, der etwas knauseriger Natur
war, sand den Preis zu hoch, ließ ihm sagen 40 Ducaten seien genug und schickte ihm
diese. Michelangelo schickte sie ihm sofort zurück und verlangte, um ihn zu züchtigen,
lOO Ducaten oder sein Bild. Agnolo antwortete ihm darauf, daß er 70 Ducaten zahlen
wolle, doch Michelangelo, aufgebracht, verdoppelte den ersten Preis und forderte jetzt
140 Ducaten.

**) Oa^s, OarteAZio II. x. 88. — Vasari XII. p. 177.
 
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