52
Michelangelo.
kann, und obgleich diese strenge Gestalt weit hinter der ruhigen und heiteren
Schönheit zurückbleibt, welche die Alten als das höchste Ziel der Kunst an-
sahen, woher kommt es, fragen wir, daß sie auf dell befaugeusten Geist
eiuen so unwiderstehlichen Eindruck ausübt? Es kommt daher, daß sie etwas
tieberlneuschliches hat, daß sie die Seele in eine andere Welt der Gefühle
und Gedanken versetzt, in eine Welt, die den Altell fremd blieb. Ihre
sinnliche Kunst, welche die menschliche Form vergöttlichte, hielt den Gedanken
aus der Erde zurück. Der Moses des Michelangelo hat Gott gesehen, er
hat seine Donnerstimme gehört, ihm schwebt der furchtbare Eiudruck seiner
Begegnung auf dem Sinai vor; sein tiefes Auge forscht den Geheimnisseil
nach, die ihn in seillen Prophetischell Träumen besuchen. Ist es der Moses
der Bibel? Ich weiß es nicht. Würden Praxiteles und Phidias den Solon
und Lykurg so dargestellt Habeu? Mau kanu das kühlt verueiueu. Der
Gesetzgeber würde ullter ihren Händen die Gestalt des Gesetzes angenom-
men haben; sie würden ein abstraktes Wesen durch eine Figur dargestellt
Haben, in der nichts die harmonische Schönheit getrübt hätte. Moses ist
nicht nur der Gesetzgeber eines Volkes, nicht der Gedanke allein wohnt
hinter dieser mächtigen Stirn: er suhlt, er leidet, er lebt in einer mora-
lischen Welt, deren Jehovah sich ihm im Zorn offenbart hat, und obgleich
er über der Menschheit steht, so bleibt er doch ein Mensch.
: -Noch sind drei Figuren zu besprechen, welche für das Grabmal bestimmt
waren, jedoch zu dem reducirteu Mouumeute voll S. Pietro in vincoli nicht
verwendet werden konnten. Es ist eine voll den nahezu fertigen Victorien,
die sich gegenwärtig irn großen Saale des Palazzo Vecchios zu Florenz be-
findet und dann die beiden wundervollen Sklaven, welche das Museum
des Louvre zu besitzen das Glück hat. Letztere Statuen gehören zu deu
schönstell Werken Michelangelo's und, einiger Anzeichen nach, sind es die
Figuren, die er während seines Aufenthaltes in Carrara ausgeführt hat,
in der Zeit der ersten Begeisterung für diese Aufgabe, ehe die Unannehm-
lichkeiten und Widerwärtigkeiten auftraten, welche dieses Werk im Gefolge
*) Während eines Aufenthaltes, den Michelangelo, vor der Malaria flüchtend, in
Florenz nahm, entwarf er die Gruppe für deu Palazzo vecchio, in der Bafari eine
Victoria sieht, welche einen Gefangenen niederwirft. Diese aus vier Figuren bestehende
und nur theilweise aus dem Rohen gearbeitete Gruppe, die vier Gefaugenen, schmückt
gegenwärtig eine Grotte des Gartens Boboli zu Florenz. Die Figuren stehen weit unter
dem Werth der meisten andern Arbeiten des Künstlers, doch sind sie authentisch und somit
erwähnenswerth.
Michelangelo.
kann, und obgleich diese strenge Gestalt weit hinter der ruhigen und heiteren
Schönheit zurückbleibt, welche die Alten als das höchste Ziel der Kunst an-
sahen, woher kommt es, fragen wir, daß sie auf dell befaugeusten Geist
eiuen so unwiderstehlichen Eindruck ausübt? Es kommt daher, daß sie etwas
tieberlneuschliches hat, daß sie die Seele in eine andere Welt der Gefühle
und Gedanken versetzt, in eine Welt, die den Altell fremd blieb. Ihre
sinnliche Kunst, welche die menschliche Form vergöttlichte, hielt den Gedanken
aus der Erde zurück. Der Moses des Michelangelo hat Gott gesehen, er
hat seine Donnerstimme gehört, ihm schwebt der furchtbare Eiudruck seiner
Begegnung auf dem Sinai vor; sein tiefes Auge forscht den Geheimnisseil
nach, die ihn in seillen Prophetischell Träumen besuchen. Ist es der Moses
der Bibel? Ich weiß es nicht. Würden Praxiteles und Phidias den Solon
und Lykurg so dargestellt Habeu? Mau kanu das kühlt verueiueu. Der
Gesetzgeber würde ullter ihren Händen die Gestalt des Gesetzes angenom-
men haben; sie würden ein abstraktes Wesen durch eine Figur dargestellt
Haben, in der nichts die harmonische Schönheit getrübt hätte. Moses ist
nicht nur der Gesetzgeber eines Volkes, nicht der Gedanke allein wohnt
hinter dieser mächtigen Stirn: er suhlt, er leidet, er lebt in einer mora-
lischen Welt, deren Jehovah sich ihm im Zorn offenbart hat, und obgleich
er über der Menschheit steht, so bleibt er doch ein Mensch.
: -Noch sind drei Figuren zu besprechen, welche für das Grabmal bestimmt
waren, jedoch zu dem reducirteu Mouumeute voll S. Pietro in vincoli nicht
verwendet werden konnten. Es ist eine voll den nahezu fertigen Victorien,
die sich gegenwärtig irn großen Saale des Palazzo Vecchios zu Florenz be-
findet und dann die beiden wundervollen Sklaven, welche das Museum
des Louvre zu besitzen das Glück hat. Letztere Statuen gehören zu deu
schönstell Werken Michelangelo's und, einiger Anzeichen nach, sind es die
Figuren, die er während seines Aufenthaltes in Carrara ausgeführt hat,
in der Zeit der ersten Begeisterung für diese Aufgabe, ehe die Unannehm-
lichkeiten und Widerwärtigkeiten auftraten, welche dieses Werk im Gefolge
*) Während eines Aufenthaltes, den Michelangelo, vor der Malaria flüchtend, in
Florenz nahm, entwarf er die Gruppe für deu Palazzo vecchio, in der Bafari eine
Victoria sieht, welche einen Gefangenen niederwirft. Diese aus vier Figuren bestehende
und nur theilweise aus dem Rohen gearbeitete Gruppe, die vier Gefaugenen, schmückt
gegenwärtig eine Grotte des Gartens Boboli zu Florenz. Die Figuren stehen weit unter
dem Werth der meisten andern Arbeiten des Künstlers, doch sind sie authentisch und somit
erwähnenswerth.