116 Michelangelo.
Urbano, Antonio Mini und Ascanio della Ripa. Letzterer ist der
von uns oft citirte Ascanio Condivi, der eine schätzbare Lebensbeschreibung
Michelangelos lieferte. Ueber Buch und Autor schwebte ein eigenes Miß-
geschick. Der Autor starb jung, er soll ertrunken sein und das Buch, verdunkelt
von dem Vasari'schen Werke, gerieth in lange Vergessenheit. Vasari hat das
Buch, zu dem Michelangelo selbst das Material geliefert, nicht weiter erwähnt,
obgleich er dasselbe für die zweite Auflage seines Werkes ausgenutzt hat. Der
eitle Künstler blickte mißgestimmt auf die Arbeit des jungen Mannes und
sicher hat sein Schriftstellerneid Antheil an dem wegwerfenden Urtheil, das
er über die künstlerische Begabung Condivi's fällt*). Unter den jungen
Leuten, die in Michelangelos Haus ein- und ausgingen, scheint Tommaso
de' Cavalieri der Liebling des alternden Meisters gewesen zu sein. Ca-
valieri war von edler Geburt und reich, dabei von großer Schönheit und
Anmuth der Sitte und mit Begeisterung der Kunst ergeben. Michelangelo
schenkte ihm viele und schöne Zeichnungen und soll auch sein Porträt ge-
fertigt Haben. Er, sagt Vasari, Habe Alles von Michelangelo erbitten können.
Von der Liebe des Letzteren zu dem schönen Jüngling, in dem er seine
eigene Jugend wieder aufblühen sah, spricht das folgende an den jungen
Freund gerichtete Sonett:
Ich sehe sanftes Licht mit deinen Blicken,
Mit meinen eignen Augen Lin ich blind,
Mit Dir im gleichen Schritte wandelnd, sind
Leicht mir die Lasten, die mich sonst erdrücken.
Von Deinen Schwingen mit emporgetragen
Flieg' ich mit Dir hinauf zum Himmel ewig;
Wie Du es willst: kühn oder zitternd leb' ich,
Kalt in der Sonne, warm in Wintertagen.
In Deinem Willen ruht allein der meine,
Dein Herz, wo die Gedanken mir entstehen,
Dein Geist, in dem der Worte Quell sich findet:
So kommt's, daß ich dem Monde gleich erscheine,
Den wir soweit am Himmel nur ersehn
Als ihn der Sonne Feuerstrahl entzündet.
*) Siehe die scharfe und zutreffende Erörterung des Verhältnisses beider Autoren
zu einander bei Herman Grimm: Leben Michelangelo's. 3. Auflage. Hannover 1868.
I. S. 58—64.
Urbano, Antonio Mini und Ascanio della Ripa. Letzterer ist der
von uns oft citirte Ascanio Condivi, der eine schätzbare Lebensbeschreibung
Michelangelos lieferte. Ueber Buch und Autor schwebte ein eigenes Miß-
geschick. Der Autor starb jung, er soll ertrunken sein und das Buch, verdunkelt
von dem Vasari'schen Werke, gerieth in lange Vergessenheit. Vasari hat das
Buch, zu dem Michelangelo selbst das Material geliefert, nicht weiter erwähnt,
obgleich er dasselbe für die zweite Auflage seines Werkes ausgenutzt hat. Der
eitle Künstler blickte mißgestimmt auf die Arbeit des jungen Mannes und
sicher hat sein Schriftstellerneid Antheil an dem wegwerfenden Urtheil, das
er über die künstlerische Begabung Condivi's fällt*). Unter den jungen
Leuten, die in Michelangelos Haus ein- und ausgingen, scheint Tommaso
de' Cavalieri der Liebling des alternden Meisters gewesen zu sein. Ca-
valieri war von edler Geburt und reich, dabei von großer Schönheit und
Anmuth der Sitte und mit Begeisterung der Kunst ergeben. Michelangelo
schenkte ihm viele und schöne Zeichnungen und soll auch sein Porträt ge-
fertigt Haben. Er, sagt Vasari, Habe Alles von Michelangelo erbitten können.
Von der Liebe des Letzteren zu dem schönen Jüngling, in dem er seine
eigene Jugend wieder aufblühen sah, spricht das folgende an den jungen
Freund gerichtete Sonett:
Ich sehe sanftes Licht mit deinen Blicken,
Mit meinen eignen Augen Lin ich blind,
Mit Dir im gleichen Schritte wandelnd, sind
Leicht mir die Lasten, die mich sonst erdrücken.
Von Deinen Schwingen mit emporgetragen
Flieg' ich mit Dir hinauf zum Himmel ewig;
Wie Du es willst: kühn oder zitternd leb' ich,
Kalt in der Sonne, warm in Wintertagen.
In Deinem Willen ruht allein der meine,
Dein Herz, wo die Gedanken mir entstehen,
Dein Geist, in dem der Worte Quell sich findet:
So kommt's, daß ich dem Monde gleich erscheine,
Den wir soweit am Himmel nur ersehn
Als ihn der Sonne Feuerstrahl entzündet.
*) Siehe die scharfe und zutreffende Erörterung des Verhältnisses beider Autoren
zu einander bei Herman Grimm: Leben Michelangelo's. 3. Auflage. Hannover 1868.
I. S. 58—64.