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Cohn, William
Ostasiatische Porträtmalerei — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 43: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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sekte1. Man hat behauptet, daß diese Perioden, die
Landschafts-, Blumen- und Vogelmalerei in schlichter
Tusche bevorzugten, kein Verständnis für das Porträt,
für den Menschen als Individuum besessen hätten.
Mit Unrecht. Das Höchste auch auf dem Gebiete des
Porträts dürfte hier geleistet worden sein. Nie ver-
stand man es, mit knapperen Mitteln packender zu
charakterisieren. Linie, Farbe, Haltung, Bewegung und
Ausdruck vereinigen sich zu einer sich gegenseitig stei-
gernden geschlossenen Einheit. Dem allgemeinen Mal-
stil derZeit folgend, erhält der Pinselzug eigenes mannig-
faltiges Leben. Die Farben, zwar gedämpft, glühen von
innerem Feuer; gebrochene Töne herrschen vor. Die
Gesichter wirken in ihrer leisen Modellierung beseelter,
oft wie von Meditation zerwühlt. In letzter Verinner-
lichung malt man Porträts in Schwarz-Weiß, die, bar
allen Prunkes und Zierats, die höchste Stufe durch-
geistigter Menschendarstellung bedeuten (Abb. 15). Bei-
spiele aus China fehlen hier; Japan füllt die Lücke aus.
Jetzt findet man bezeichnete Porträts und Selbstpor-
träts bedeutender japanischer Maler, so eines Minchö
(gest. 1431; Abb. 14, 15), des eigentlichen Verpflanzers
der reinen Tuschmalerei von China nach Japan, und
eines Sesshü (gest. 1506; Abb. 16), des größten japani-
schen Tuschmeisters überhaupt.
Im China der letzten Dynastie (1664—1912) und im
Japan der Tokugawaperiode (1600—1868) wiegt im all-
gemeinen banaler Realismus vor, gemildert durch die
Erinnerung an die große Vergangenheit (Abb.19). Die
zahlreich nach Europa gelangten chinesischen Ahnen-
bildnisse (Tai-shou, jap. juzö; Abb. 20), die diesen Jahr-
hunderten angehören, sind, so dekorativ wirkungsvoll
1 Eine im 6. Jain hundert in China von Bodhidaruma (s. o.) gegründete und
im 13. Jahrhundert in Japan eingefllhrte Religionsgemeinschaft, die buddhistische
mit taoistischen Ideen verbindet und eine große Umwälzung im ostasiatischen Geistes-
leben hervorbrachte. Chinesischer Name: Ch’an-tsung.

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