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Conze, Alexander
Reise auf der Insel Lesbos — Hannover, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.34182#0016
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grössesten Schiffe der Gesellschaft, dieAquila imperiale, hauptsächlich für die Fahrten im schwarzen Meere
gebaut, welches auf der Höhe der Stadt erschien und mich an Bord nahm. Jetzt war ich wieder auf der
grossen Strasse, wieder in Europa, so kam es mir vor. Statt dass uns bisher bei den Fahrten im offenen
Kaike im thrakischen Meere jede Welle hob und senkte, sah ich jetzt auf das nordwinderregte Meer von
der unbewegten Masse des Dampfers haushoch hinab. Ich sass in der Kajüte seit Monaten ziemlich zum
ersten Male wieder auf einem Stuhle und an einem Tische unserer Art. So voll Behagen über sonst kaum
beachtete Dinge wurde die Fahrt südwärts längs der kleinasiatischen Küste hin zurückgelegt. Der Küsten-
streifen bei Eski-Stambul, dem alten Alexandria Troas, das Mündungsland des Tuslaflüsschens, des home-
rischen Satnioeis, endlich Kap Baba, to Asztov, der westlichst vorspringende Theil des kleinasiatischen
Halbinsellandes, blieben zur Linken und dann fuhren wir ostwärts in den Meeresarm zwischen dem Fest-
lande und der Insel meiner nächsten Bestimmung hinein. Da lag Lesbos, heute wie schon zur Zeit des
Eustathios nur Mitilini *), von den Türken Midüllü genannt. Die Landspitze mit dem Städtchen Mdlivos war
die erste besonders in die Augen fallende Form auf der Insel; ihre Berge zogen sich fortan ziemlich öde und
einförmig, spärlich bewachsen offenbar nur, uns zur Rechten hin. Auch dann noch blieb dieser Charakter
der Küste, als wir unsern Kurs nun südwärts steuernd geändert hatten, wobei der lang gegen die ferne
Ebene von Adramyttion landeinwärts sich hindehnende Meerbusen mit der Gruppe der flachen kleinen
Inseln der Muskonisia, der Hekatonnesoi der Alten, erst linker Hand und bald hinter uns zurückblieb.
Endlich unterbrach die Einförmigkeit der Inselküste wieder ein grösserer Ort, der erste seit wir Mdlivos
sahen, aber mit ansehnlicherer Häusermasse, dieser die Hauptstadt der Insel, Mytilene selbst. Ein etwas
boshafter Franzose hat die Behauptung aufgestellt: propre au dehors, sal au dedans, c’est la devise de
l'Orient! Höchstens die erste Hälfte des Vordersatzes könnte man ab und an unrichtig finden, bei Mitilini
trifft indess das Ganze zu. Die Stadt bot wirklich, so unansehnlich, winklich, eng und schmutzig sie sich
mir später in ihrem Inneren vielfach erwies, von unserm Ankerplätze vor dem Hafen aus ein sehr freund-
lich anmuthiges Bild namentlich durch die zahllosen Häuser und Häuschen, die sich in immer mehr auf-
gelösten Gruppen von dem dichten Kerne der Ansiedlung vom Strande aus besonders gegen Süden hin
mit ihren hellen Wänden durch die grünen Pflanzungen und Baummassen der ansteigenden Höhen hinauf-
ziehen. Unter den ersten Einwohnern, die zu uns an Bord kamen, traf ich auch den österreichischen
Konsularagenten, an welchen ich durch ein Schreiben des auswärtigen Amtes zu Wien empfohlen war,
Herrn Dr. med. Bargigly. Gern nehme ich Gelegenheit ihn gleich hier dankbar zu nennen als den, in
dessen gastlichem Hause ich die nach langer Reise, auf der es mir nie so gut geworden war, doppelt wohl
anmuthenden Annehmlichkeiten europäischer Lebensweise und willigste wirksame Unterstützung für alle
meine Reisezwecke fand.
Die Stadt Mitilini als mit dem ansehnlichsten Kastelle auf der Insel versehen, als Sitz eines Pascha
und eines Erzbischofes, so wie als Wohnplatz einer zahlreichen griechischen Handelsbevölkerung und meh-
rer fremder Konsularagenten bietet den Anblick einer lebhaft bewegten Gegenwart. Ueber ihre Einwoh-
nerzahl, die ich wohl auf mehr als zehntausend Seelen schätzen hörte, konnte ich eine zuverlässige An-
gabe nicht erhalten; ein neuerer einheimischer Beschreiber* 2) giebt ihr gegen zweitausend Häuser, von
denen kaum der vierte Theil in türkischem Besitze sei. Von der im Nordosten hart am Meere hoch gele-
genen, von den Türken bewachten Citadelle durch eine kahle Bodenstrecke getrennt, dehnt sich zwischen
zwei Hafenbuchten das dicht bebaute Stadtgebiet weniger um den Nordhafen als um den gegen Südosten
mit enger Einfahrt geöffneten Hafen herum aus. Der beigegebene Plan (Taf. I a.) zeigt das genauer.
Ueber den Wohnhäusern hervorragend bemerkte ich einige, so weit ich sah, als Bauwerke ganz unbedeutende
Moscheen, mehre griechische Kirchen und eine als Neubau wie durch ihre bei der Kleinheit der Gemeinde

J) Eustath. Od. y, S. 1462. II. t. S. 741, 12.
2) StaupaZT]? ’A. ’Avayvösvq; 1; Aeaßia; S. 114.
 
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