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Conze, Alexander
Reise auf der Insel Lesbos — Hannover, 1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.34182#0077
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denen Stratonike zu opfern hatte, zusammen genannt werden, steht Apollon als Kitharoede in der langen
pytischen Stola. Sein Haar scheint auf der Höhe des Kopfes zu einem Knaufe aufgebunden und fällt auf
einer Seite noch kenntlich in langer Locke auf die Schultern herab. In der rechten Hand hält er wieder,
wie Kybele neben ihm und wie Zeus auf A die Schale, die hier recht deutlich als Attribut der opfer-
empfangenden Gottheiten erscheint; er hält sie über den Altar, dei’ wie auf A auch hier wieder im Freien
unter einem Baume steht. Dem Altäre naht Stratonike als Opfernde 1); sie bewegt aus dem über den
Kopf gezogenen Gewände mit gleicher Bewegung wie Asklepiades auf A die Hand zur Adoration hervor.
Vor ihr führt ein kurzbekleideter Knabe wie auf A das Opferschaf, während hinter dem Altäre ein Mäd-
chen •— so scheint es dem Haare nach — zur gewöhnlichen Opfermusik die Doppelflöte bläst. Auch hier
wie auf A der Zeus, sind die Götter durch grössere Gestalt ausgezeichnet, ausserdem ist Kybele sitzend
fast ebenso hoch an Gestalt wie der stehende Apollon.
Die Darstellung der Mahlzeit in dem unteren Relief ist etwas verwischt, doch scheinen die zehn
beim Mahle liegenden Gestalten, wie auch Postolakkas annahm, sämmtlich Männer, die ötaaiktBs? also
nicht mit dargestellt zu sein. Sie stützen sich alle nach gewohnterWeise im Liegen mit dem linken Arm
auf das Kissen. Der lange Streifen vor ihnen könnte ein gemeinsamer Tisch sein. Im Vordergründe ist
die Musik und die Dienerschaft nicht vergessen. Ganz rechts lehnen zwei Stäbe mit jedesmal acht auf-
gereihten runden Gegenständen, gewiss Bratspiesse mit irgend einer Esswaare. Dann folgen zwei grosse
Krateres, von deren einem ein nackter Diener grade den Deckel hebt um den Trank auszufüllen. Bei
einem dritten etwas höherem und verschieden geformten Krater scheint ein anderer Diener, auch nackt
und von kleinerer Gestalt als die Schmausenden, wie ja die Schenken Knaben zu sein pflegten, in gleicher
Weise beschäftigt zu sein. Dann kommt eine laufende Gestalt mit gehobener Hand, ich wage bei dem
Zustande des Steines an dieser Stelle nicht mit Gewissheit zu sagen, ob es ein hurtiger Aufwärter oder
ein Tänzer sein soll. Am Ende links sitzen zwei Flötenspieler; die Instrumente in ihren Händen, eine
einfache und eine Doppelflöte sind noch deutlich zu erkennen.
Die Errichtung der beiden Steine geschah durch eine jener im späteren Griechenland so sehr ver-
breiteten Gesellschaften 2), welche sich ähnlich wie z. B. die Kalandsbrüder im Mittelalter unter religiösen
Formen verbanden, als Hauptzweck aber häufig geselligen Genuss, bei dem die Tafelfreuden eine Haupt-
rolle spielten, verfolgten. Opfer und Opfermahlzeiten boten sich ihnen ja wie sie der Stein B zusammen-
stellt, in besonders bequemer Verbindung und dass der Gottesdienst nur den Vorwand dazu abgab, dass
sich die Brüderschaften selbst gehörig Etwas zu Gute thun konnten, wird in der Nikomachischen Ethik
(VIII, 9, 5) ausdrücklich gesagt. Polybius (XX, 6) schildert, wie sehr diese Vereinigungen zu einem
schädlichen Uebermasse führten, wie sie Vermächtnisse namentlich von kinderlosen Leuten erhielten, die
statt wie sonst den Familien ihre Verlassenschaft zuzuwenden, jetzt ihr meistes Hab und Gut diesen Tafel-
briidern vermachten, wodurch deren Mittel oft so wuchsen, dass der Monat für Manchen in Böotien, wie
Polybius sagt, mehr freie Mahlzeiten als Tage zählte. Auch in Kleinasien war in hellenistischer und in
römischer Zeit dieses und ähnliches Vereinswesen sehr verbreitet 3).
An Werth gewinnen beide Inschriftsteine für uns dadurch, dass sie datirt sind, der eine aus dem
Jahre 174, der andere aus dem Jahre 178. Es fragt sich nur, nach welcher Aera dabei gerechnet ist.
Petersen nimmt an, es sei eine Aera der jährlich wechselnden Priester der Genossenschaft, womit uns
eine Berechnung der Zeit unmöglich würde. Petersen kannte die Herkunft der Steine nicht, seit wir

1) Die ganze Darstellung erinnert liier sehr an das Relief bei Clara c musde de sc. pl. 214, 256 (Bo et ich er Baumkultus
der Hellenen Fig. 13. Müller-Wieseler Denkm. d. a. Kunst II, Taf. LXIII, n. 815), wo die am Baume aufgehängten Becken
auch auf die Kybele hinweisen.
2) K. F. Hermann Lehrbuch der griech. Antiq. II. (2. Aufl. von Stark), §. 7, 6. Sclioemann griech. Alterth. II, 480 ff.
3) u. A. C. J. gr. 3480.
 
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