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Scholz, Hartmut
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Mittelfranken und Nürnberg (extra muros): Text — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 10,1, Teil 1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2002

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https://doi.org/10.11588/diglit.52869#0049
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KUNSTGESCHICHTLICHE EINLEITUNG

Textabb. 8. Kreuzigung mit zwei Stifterinnen.
Ehemals Nürnberg, Haus zum Goldenen Schild.
GNM, Inv. MM 27. Nürnberg (?), um 1330/40.

Bildfenster im Mortuarium des Eichstätter Domes, die erstaunlicherweise -
trotz der Verschiedenheit der Fensterstifter - allesamt bei den gleichen
Augsburger Meistern in Auftrag gegeben wurden.
Die Betrachtung der Auftraggeber und die Verknüpfung ihrer Fensterstif-
tungen mit jeweils handfesten politischen oder kirchlichen Besitz- und
Rechtsverhältnissen wäre freilich unvollständig ohne die Erwähnung der
Fensterstiftung des böhmischen Königs Wenzel im Chor der Stadtpfarrkir-
che von Hersbruck. Bereits Karl IV. hatte 1353 - als Tilgung größerer
Schulden seitens der beiden Pfalzgrafen Ruprecht d.A. und d.J. - die
Vesten, Städte und Märkte Lichtenstein, Hartenstein, Hohenstein, Hers-
bruck, Lauf, Velden u.a. mit allen Dörfern und Zugehörungen zu Eigentum
an Zahlungs Statt übertragen bekommen55. Damit war ein größerer Terri-
torialblock in der nördlichen Oberpfalz und in Mittelfranken unmittelbar
der böhmischen Krone unterstellt. Den südlichen Teil des jungen Staatsge-
bildes »Neuböhmen«, darunter auch das böhmische Pflegamt Hersbruck,
verpfändete Karl IV. bereits im Jahr 1373 wieder an den Wittelsbacher Kur-
fürsten Otto, um von diesem um 100000 Goldgulden die Markgrafschaft
Brandenburg zu erwerben. Den zwei Jahrzehnten unter böhmischer Krone
verdankt Hersbruck die Stadterhebung (zwischen 1359 und 1364) und auch
den Baubeginn der neuen Stadtpfarrkirche. Die Fensterstiftung in der Chor-
achse der neuen Kirche repräsentiert folgerichtig den 1361 geborenen
Sohn Karls IV, Wenzel, der für den kurzen Zeitraum von zehn Jahren, seit
seiner Wahl zum böhmischen König im Jahr 1363 bis zum Verlust der süd-
böhmischen Territorien, oberster Stadtherr in Hersbruck gewesen war. In
die Zeit Wittelsbacher Herrschaft im benachbarten Pflegamt Lauf fällt
dagegen die Entstehung der Kreuzigungsscheibe, die sich heute in der
Friedhofskirche der Nürnbergischen Landstadt befindet; obgleich wir
nichts über den Stifter wissen, wird die künstlerische Provenienz aus Ober-
bayern nicht überraschen.
Festzuhalten bleibt, daß von den bedeutenden Benediktiner- und Zister-
zienserklöstern im mittelfränkischen Raum, die zumeist im 12. und 13. Jahr-
hundert gegründet worden waren, kein einziges Reste seines mittelalterlichen
Fensterschmucks bewahrt hat. Dies und das Fehlen von Farbverglasungen
der Bettelorden verschiebt die Verhältnisse auf extreme Weise zugunsten
meist bescheidener Pfarrkirchen, deren Bildprogramme naturgemäß nur
einen sehr engen thematischen Bereich abzudecken pflegen. Was andernorts
vom 12. bis 14. Jahrhundert an künstlerischen und theologischen Konzeptio-
nen die Gattung der Glasmalerei wesentlich mitbestimmte, ist auf unserem Gebiet nahezu vollständig ausgelöscht.
Lediglich die wenigen umfangreicheren Chorverglasungen etwa in Rothenburg und Markt Erlbach, Hersbruck und Pol-
lenfeld lassen die formalen und ikonographischen Möglichkeiten noch erahnen, die der mittelalterlichen Glasmalerei bei
der Darstellung größerer Zyklen der Heilsgeschichte und einzelner Heiliger zu Gebote standen. Komplexere theologi-
sche Aussagen bleiben hier allein auf die drei Chorfenster in Rothenburg beschränkt. Insofern kann ein repräsentatives
Bild von Entwicklung und Stellenwert der mittelfränkischen Glasmalerei in keiner Weise erwartet werden.


Künstlerische Zusammenhänge und Entwicklungen
Im Gegensatz zu den bedeutenden Zeugnissen spätromanischer und hochgotischer Glasmalerei in den großen und
kleinen Zentren entlang des Rheins, in Westfalen und Sachsen, kann von einer Blüte der Glasmalerei in Franken erst
 
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