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Gast, Uwe; Rauch, Ivo
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Oppenheim, Rhein- und Südhessen — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 3,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2011

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52850#0477
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ANHANG: VERSCHOLLENE ODER VERLORENE GLASMALEREIEN

wurde, bis nach Mitte des 15. Jh. die heutige dreischiffige, 1472
vollendete Stufenhalle an seiner Stelle errichtet wurde5. Um die
Kirche aufzuhellen, wurde im November 1773 der Beschluss
gefasst, das Maßwerk aus allen Fenstern zu entfernen6, weshalb
nur zwei dreibahnige Fenster auf der Nordseite des Langhauses
und fünf zweibahnige, mit Kopfscheiben fünfzeilige Fenster im
Chorschluss ihre ursprüngliche Unterteilung bewahrt haben.
Wenngleich die 1773 eingeleiteten Maßnahmen zur Aufhel-
lung des Baues keinen schonenden Umgang mit den damals
noch vorhandenen alten Glasmalereien erwarten lassen, so ist
angesichts der oben erwähnten Zahlung von 44 Gulden den-
noch mit einer gewissen Anzahl von Scheiben zu rechnen, die
1821 ihren Weg nach Darmstadt genommen haben müssen7.
Im Glasgemäldebestand des Hessischen Landesmuseums sind
jedoch keine Scheiben aus Babenhausen ausgewiesen - mit
Ausnahme jener im Zweiten Weltkrieg zerstörten Fragmente
einer Wappenscheibe von 1560 -, und alle bisherigen Versuche,
solche Scheiben ausfindig zu machen, erwiesen sich als nicht
haltbar8. So schlummern sie entweder unerkannt im Museum
oder sind, was gleichermaßen möglich ist, bereits früh wieder
veräußert worden - etwa zur Verglasung des Westchores des
Wormser Domes.
Unter den um 1842-1844 für Worms angekauften Glasma-
lereien befanden sich die Reste eines Passionszyklus aus dem
späten 14. Jh., von dem zwei Scheiben noch im 19. Jh. nach
Sigmaringen abgegeben wurden, während das Fragment einer
dritten Scheibe 1930 in die Sammlungen des Hessischen Lan-
desmuseums Darmstadt kam (Fig. zj)9. Suzanne Beeh-Lus-
tenberger bezeichnete es als »eindeutig fränkisch«, womit sie
eine überlieferungsgeschichtlich mögliche Herkunft vom Mit-
telrhein ausschloss. Da jedoch die 1991 in Wixhausen gefunde-
nen Reste einer Farbverglasung der Zeit um 1400 (s. S. 436-438,
Abb. 268-272) ein durchaus verwandtes Stilbild aufweisen,
kommt für das Scheibenkonvolut in Sigmaringen und Darm-
stadt ein ehemaliger Standort am Mittelrhein durchaus in Be-
tracht; Babenhausen böte sich dabei aus bau- wie aus überliefe-
rungsgeschichtlichen Gründen in besonderer Weise an.
Solange indessen genauere Hinweise auf Gegenstand und Alter
der dort einst vorhandenen Glasgemälde fehlen, müssen diese
gegenwärtig als verschollen, wenn nicht als verloren angesehen
werden.

EHEMALS BECHTOLSHEIM, PFARRKIRCHE
(SEIT 1685 SIMULTANKIRCHE)
Bibliografie: Scriba 1855, S. 301 (zitiert die Beschreibung Hel-
wichs von 1612); Karl Oberle, Geschichte von Bechtolsheim
(JbBistumMz, Erg.-Bd. 2), Alzey 1951, S. 77k (zitiert ebenfalls
Helwich); Hess 1994, S. 171, Anm. 207 (erwähnt verlorene Stif-
terscheiben im Zusammenhang mit den Scheiben aus Herrns-
heim); Hess 1999, S. 273, Anm. 33 (Erwähnung).
Das einige wenige Kilometer nordöstlich von Alzey gelegene
Dorf Bechtolsheim besaß im Mittelalter zwei Kirchen: eine
bereits 1292 erwähnte, heute verschwundene »alte« Kirche, die
außerhalb des Dorfes lag, und eine vermutlich aufgrund deren
eingeschränkter Zugänglichkeit in den Jahren 1482-1494/96 er-
richtete »neue« Kirche, die der Jungfrau Maria geweiht war10.
Dieser ambitionierte Bau - eine dreischiffige, fünfjochige Hal-
le mit lang gestrecktem Chor mit 3/8-Schluss - enthielt eine
Verglasung mit Stifter- und Wappendarstellungen, die der Vi-
kar und Inschriftensammler Georg Helwich 1612 beschrieben
hat (s. Reg. Nr. 4). Die Glasgemälde dürften 1689 beim Brand
Bechtolsheims im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört worden
sein; im Jahr 1700 wurden »die leeren Fenster mit Borden ver-
schalt«11.
Laut Helwichs Beschreibung scheint es in mehreren Fenstern
Stifterdarstellungen gegeben zu haben, die sich auf folgende,
von Helwich nur z.T. identifizierte historische Personen be-
zogen haben müssen: 1. Philipp I. Kämmerer von Worms gen.
von Dalberg (fi 1492) und Barbara von Fiersheim (f 1483)12;
2. Friedrich X. von Rüdesheim (f vor 1526) und Gertrud von
Scharfenstein (fi 1499?)13; 3. Wilhelm von Mauchenheim gen.
von Bechtolsheim (f 1501) und Guta von der Spor14; 4. Wolf II.
Kämmerer von Worms gen. von Dalberg (f 1476) und Gertrud
von Greiffenclau zu Vollrads (f 1502) ; 5. Johann Kämmerer
von Worms gen. von Dalberg (J 1503), Bischof von Worms16.
In einem weiteren Fenster befanden sich - wohl ohne figürliche
Darstellungen - die Wappen Bechtolsheim und Kettenheim.
Als Stifter der Glasgemälde lassen sich demnach zwei Gruppen
von Personen ausmachen: zum einen Mitglieder der im späten
13. Jh. gegründeten Ganerbschaft Bechtolsheim, der zur Zeit
der Erbauung der Kirche Philipp I. von Dalberg, Friedrich X.
von Rüdesheim und Wilhelm von Bechtolsheim angehörten17,
zum anderen Mitglieder der Familie der Kämmerer von Worms
gen. von Dalberg, die mit zwei resp. drei Fensterstiftungen ihre

5 Herchenröder 1940, S. 12, 15-30; Scholz, Darmstadt, 1999,
S. XVf.; Dehio Hessen, II, 2008, S. 21.
6 Diehl 1935, S. 719E
7 Für zwei Scheiben aus Hirschhorn am Neckar wurden einige Jahre
zuvor z.B. 9 fl. gezahlt; s. Reg. Nr. 27.
8 Zu den Fragmenten einer Wappenscheibe s. Beeh-Lustenberger
1973, S. 317, Nr. B 16 mit Abb. Taf. 30. - Die von Back 1913 nach Ba-
benhausen lokalisierten Stifterscheiben hatte bereits Heinz Merten,
in: AK Darmstadt 1935, S. 29k, Nr. 145-150, mit »Hirschhorn oder Ers-
heim« in Verbindung gebracht, während Mertens eigene Überlegun-
gen bezüglich der Herkunft der Valentin-Scheibe (Darmstadt, HLM,
Inv. Nr. Kg 31:15 [Fig. 26]; Beeh-Lustenberger 1967, Abb. 154, bzw.
1973, S. 190E, Nr. 244) auf die etwas fragwürdige Beobachtung zu-
rückzugehen scheinen, dass sie dem Meister des Babenhausener Altars
»sehr nahe« stehe (vgL Merten 1935, S. 33).
9 Inv. Nr. Kg 30:22; Beeh-Lustenberger 1973, S. 103, Nr. 138,
Taf. 13. Zu den beiden Scheiben im Sigmaringer Schloss vgl. Becks-
mann 1986, S. 230-232, Fig. 173!., Abb. 300, 302.

Zur Baugeschichte grundlegend: Fischer 1962, S. 150-155. Vgl.
ferner Regine Dölling, Die Simultankirche in Bechtolsheim (Rhein-
hessen) (Rheinische Kunststätten 232), Neuss 1980, bes. S. 5-8, De-
hio Rheinland-Pfalz/Saarland Ü984, S. 82k, zuletzt Germund 1997,
S.102-105.
11 Oberle 1951 (s. Bibi.), S. 72.
12 Humbracht 1707, Taf. 14; Möller, II, 1933, Taf. LXVI.
Humbracht 1707, Taf. 159; Möller, I, 1922, Taf. XXXIII.
14 Humbracht 1707, Taf. 150.
15 Humbracht 1707, Taf. 15; Möller, II, 1933, Taf. LXVI.
!6 Ebd. - Zu Leben und Wirken Johanns von Dalberg s. zuletzt Bön-
nen/Keilmann 2005 und Mertens 2009.
17 Oberle 1951 (s. Bibi.), S. 43 (ohne Nachweis).
iS 1444 befanden sich die Kämmerer von Worms gen. von Dalberg
noch nicht unter den Ganerben; s. Johannes F. S. Zimmermann, Rit-
terschaftliche Ganerbschaften in Rheinhessen, Phil. Diss. Mainz 1957,
S. 43. Als solche werden sie mit Philipp I. von Dalberg erstmals 1481
ausgewiesen; s. hierzu Anm. 17.
 
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