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EHEMALS BRAUNSCHWEIG • KATHARINENKIRCHE
Noch komplizierter ist es um die potentiellen Auftraggeber dieser 1553 entstandenen Verglasung bestellt. Schon
1528 nahm der bereits vollständig reformierte Stadtrat Braunschweigs für sämtliche Pfarrkirchen, einschließlich der
Kirche St. Katharinen im eigenständigen Stadtteil Hagen, die Braunschweiger Kirchenordnung des Johannes Bugen-
hagen an11. Die Einführung des neuen Glaubensbekenntnisses unter Missachtung herzoglicher Patronatsrechte in
Braunschweig und Goslar zog beide Städte 1532 in den Schmalkaldischen Bund und provozierte zudem im Jahre 1538
mit der Berufung einer Tagung des Bundes in Braunschweig den offenen Konflikt mit dem strikt katholisch gebliebe-
nen und kaisertreuen Landesherrn, Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1489-1568). Bei
den ersten militärischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1542-1545 musste sich Herzog Heinrich zwar zunächst
geschlagen geben, ja er wurde sogar in der Schlacht bei Höckelheim gefangen genommen. Doch bereits zwei Jahre
später, nach dem Sieg über die Schmalkaldener bei Mühlberg am 24. April 1547, bemühte er sich, die Reformation im
Braunschweiger Land rückgängig zu machen und die Selbstständigkeit der Städte zu brechen12. Mehrere aufeinander
folgende Angriffe auf Braunschweig, monatelange Belagerungen und brutaler Artilleriebeschuss zwischen 1550 und
1553 endeten mit der blutigsten Schlacht des Jahrhunderts auf deutschem Boden, bei Sivershausen am 9. Juli 1553,
und führten schließlich zur Neuordnung der Verhältnisse zwischen der Stadt Braunschweig und dem Landesherrn13.
Der im Oktober 1553 geschlossene Wolfenbüttel-Braunschweiger Frieden wurde von einem bemerkenswerten Entge-
genkommen und gegenseitigen Kompromissen geprägt14. Zwar musste Braunschweig seinen Traum von der Reichs-
freiheit für immer aufgeben, dennoch bekam es weiterhin die Freiheit der Religionsübung, auch wenn der evange-
lische Kultus auf die Stadt selbst beschränkt blieb. Ferner sollte der Stadtrat dem Herzog die Patronatsrechte an den
städtischen Pfarrkirchen zugestehen; im Gegenzug sicherte Heinrich der Jüngere zu, verstärkt für die finanzielle
Unterstützung der Pfarreien aufzukommen15. Es liegt nahe, jene exakt zu diesem entscheidenden Zeitpunkt ent-
standene, zweifelsohne kostspielige Farbverglasung der Chorfenster in St. Katharinen im Kontext der kurzzeitigen
Versöhnungspolitik des Landesherrn zu betrachten und in ihr eine Art Entschädigung, wenn nicht sogar eine zweck-
orientierte Stiftung Herzog Heinrichs zu vermuten. Der Umstand, dass für das Jahr 1559 eine überaus großzügige
herzogliche Stiftung für die ebenfalls während der Belagerung beschädigten Nordseitenfenster des reformierten Bla-
siusdomes quellenmäßig belegt ist, darf ebenfalls als Indiz hierfür gewertet werden16.
Erhaltung: Die auf den ersten Blick vermeintlich überwiegend homogene Gesamtwirkung und gute Erhaltung
der Fenstergruppe hält einer gründlichen Autopsie leider nicht stand. Einer besonderen Erklärung bedürfen hier
vor allem die gravierenden Abweichungen in der Hintergrundgestaltung innerhalb des Bestandes. In den beiden
seitlichen Fenstern befinden sich die Figurengruppen in einer ausschließlich mit Silbergelb, Eisenrot und feiner Kon-
turzeichnung gestalteten Landschaft mit stilisierten palmettenartigen Bäumen, gleichmäßig verteilten Grasbüscheln
und Steinen auf dem Boden und einer angedeuteten Phantasiearchitektur in der Ferne. Im klaren hellblauen Himmel
darüber zeigen sich stereotype Wolkenreihen, deren wellige Umrisse aus einem dünnen Halbtonüberzug ausgestupft
wurden (Fig. 76). Die Kreuzigungsszene - ausgenommen die darüber schwebende Halbfigur Gottvaters vor einer mit
den Flankenfenstern identischen Gestaltung des Himmels - zeigt dagegen eine weitläufige, detail- und motivreiche
arkadische Architekturlandschaft, durchsetzt von malerisch zerzauster und dennoch naturnah wiedergegebener Ve-
getation, die in kräftigen Grün-Braun-Sand-Tönen nahezu deckend mit Schmelzfarben auf kaum unterteilten, fast
rechteckigen Glasscheiben ausgeführt wurde. Die Gestaltung des stürmisch aufgewirbelten, gewittrigen Himmels
darüber wird bestimmt von eben demselben Gebrauch von Schmelzfarben und von einem ökonomisch großflächigen
Glaszuschnitt. Diese Eigenarten stehen nicht nur im Widerspruch zum Malstil der eigentlichen Kreuzigungsgrup-
pe, der Partie mit Gottvater und der rahmenden Architektur darüber, sondern auch zur traditionellen Technik der
11 Aufschlussreich hierzu: Wolfgang Jünke, St. Katharinen und die
Reformation, in: Acht Jahrhunderte St. Katharinen-Kirche Braun-
schweig. Beiträge zu ihrer Geschichte, Braunschweig 1980, S. 71-78.
12 Stefan Brüdermann, Das Zeitalter der Glaubensspaltung (1495—
1634), in: Jarck/Schildt 2000, S. 447-449.
D Spiess 1966,1, S. 96-98; Brüdermann 2000 (wie Anm. 12), S. 450E
14 Ausführlich zu den Ergebnissen und Bedingungen des Wolfenbüt-
tel-Braunschweiger Friedens von 1553 siehe Spiess 1966, I, S. 103-
106.
15 Ebenda, S. 102.
16 Siehe S. io8f.
17 Rehtmeyer 1707, 1, S. 127: »Im Jahr 1615. den 29. Octob. ist bey
Belagerung der Stadt von Hertzog Friedrich Ulrich eine Canonen-Ku-
gel durchs Fenster nahe bey dem auf der Kantzel stehenden Prediger
vorbey an den Pfeiler geflogen und ein Stück davon gesprenget [...]«.
iS Kat. Ausst. Wittenberg 2015, S. 374k, 378L, 380k, 383, Kat.
Nr. 3/41, 3/43^, 3/46; vgl. ferner Martina Sitt und Desiree Monsees,
Der einsame Christus am Kreuz - Ein Bildtypus von Cranach dem
Jüngeren in der pro-reformatorischen, bildlichen Argumentation, in:
Werner 2015, S. 309-317.
EHEMALS BRAUNSCHWEIG • KATHARINENKIRCHE
Noch komplizierter ist es um die potentiellen Auftraggeber dieser 1553 entstandenen Verglasung bestellt. Schon
1528 nahm der bereits vollständig reformierte Stadtrat Braunschweigs für sämtliche Pfarrkirchen, einschließlich der
Kirche St. Katharinen im eigenständigen Stadtteil Hagen, die Braunschweiger Kirchenordnung des Johannes Bugen-
hagen an11. Die Einführung des neuen Glaubensbekenntnisses unter Missachtung herzoglicher Patronatsrechte in
Braunschweig und Goslar zog beide Städte 1532 in den Schmalkaldischen Bund und provozierte zudem im Jahre 1538
mit der Berufung einer Tagung des Bundes in Braunschweig den offenen Konflikt mit dem strikt katholisch gebliebe-
nen und kaisertreuen Landesherrn, Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (1489-1568). Bei
den ersten militärischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1542-1545 musste sich Herzog Heinrich zwar zunächst
geschlagen geben, ja er wurde sogar in der Schlacht bei Höckelheim gefangen genommen. Doch bereits zwei Jahre
später, nach dem Sieg über die Schmalkaldener bei Mühlberg am 24. April 1547, bemühte er sich, die Reformation im
Braunschweiger Land rückgängig zu machen und die Selbstständigkeit der Städte zu brechen12. Mehrere aufeinander
folgende Angriffe auf Braunschweig, monatelange Belagerungen und brutaler Artilleriebeschuss zwischen 1550 und
1553 endeten mit der blutigsten Schlacht des Jahrhunderts auf deutschem Boden, bei Sivershausen am 9. Juli 1553,
und führten schließlich zur Neuordnung der Verhältnisse zwischen der Stadt Braunschweig und dem Landesherrn13.
Der im Oktober 1553 geschlossene Wolfenbüttel-Braunschweiger Frieden wurde von einem bemerkenswerten Entge-
genkommen und gegenseitigen Kompromissen geprägt14. Zwar musste Braunschweig seinen Traum von der Reichs-
freiheit für immer aufgeben, dennoch bekam es weiterhin die Freiheit der Religionsübung, auch wenn der evange-
lische Kultus auf die Stadt selbst beschränkt blieb. Ferner sollte der Stadtrat dem Herzog die Patronatsrechte an den
städtischen Pfarrkirchen zugestehen; im Gegenzug sicherte Heinrich der Jüngere zu, verstärkt für die finanzielle
Unterstützung der Pfarreien aufzukommen15. Es liegt nahe, jene exakt zu diesem entscheidenden Zeitpunkt ent-
standene, zweifelsohne kostspielige Farbverglasung der Chorfenster in St. Katharinen im Kontext der kurzzeitigen
Versöhnungspolitik des Landesherrn zu betrachten und in ihr eine Art Entschädigung, wenn nicht sogar eine zweck-
orientierte Stiftung Herzog Heinrichs zu vermuten. Der Umstand, dass für das Jahr 1559 eine überaus großzügige
herzogliche Stiftung für die ebenfalls während der Belagerung beschädigten Nordseitenfenster des reformierten Bla-
siusdomes quellenmäßig belegt ist, darf ebenfalls als Indiz hierfür gewertet werden16.
Erhaltung: Die auf den ersten Blick vermeintlich überwiegend homogene Gesamtwirkung und gute Erhaltung
der Fenstergruppe hält einer gründlichen Autopsie leider nicht stand. Einer besonderen Erklärung bedürfen hier
vor allem die gravierenden Abweichungen in der Hintergrundgestaltung innerhalb des Bestandes. In den beiden
seitlichen Fenstern befinden sich die Figurengruppen in einer ausschließlich mit Silbergelb, Eisenrot und feiner Kon-
turzeichnung gestalteten Landschaft mit stilisierten palmettenartigen Bäumen, gleichmäßig verteilten Grasbüscheln
und Steinen auf dem Boden und einer angedeuteten Phantasiearchitektur in der Ferne. Im klaren hellblauen Himmel
darüber zeigen sich stereotype Wolkenreihen, deren wellige Umrisse aus einem dünnen Halbtonüberzug ausgestupft
wurden (Fig. 76). Die Kreuzigungsszene - ausgenommen die darüber schwebende Halbfigur Gottvaters vor einer mit
den Flankenfenstern identischen Gestaltung des Himmels - zeigt dagegen eine weitläufige, detail- und motivreiche
arkadische Architekturlandschaft, durchsetzt von malerisch zerzauster und dennoch naturnah wiedergegebener Ve-
getation, die in kräftigen Grün-Braun-Sand-Tönen nahezu deckend mit Schmelzfarben auf kaum unterteilten, fast
rechteckigen Glasscheiben ausgeführt wurde. Die Gestaltung des stürmisch aufgewirbelten, gewittrigen Himmels
darüber wird bestimmt von eben demselben Gebrauch von Schmelzfarben und von einem ökonomisch großflächigen
Glaszuschnitt. Diese Eigenarten stehen nicht nur im Widerspruch zum Malstil der eigentlichen Kreuzigungsgrup-
pe, der Partie mit Gottvater und der rahmenden Architektur darüber, sondern auch zur traditionellen Technik der
11 Aufschlussreich hierzu: Wolfgang Jünke, St. Katharinen und die
Reformation, in: Acht Jahrhunderte St. Katharinen-Kirche Braun-
schweig. Beiträge zu ihrer Geschichte, Braunschweig 1980, S. 71-78.
12 Stefan Brüdermann, Das Zeitalter der Glaubensspaltung (1495—
1634), in: Jarck/Schildt 2000, S. 447-449.
D Spiess 1966,1, S. 96-98; Brüdermann 2000 (wie Anm. 12), S. 450E
14 Ausführlich zu den Ergebnissen und Bedingungen des Wolfenbüt-
tel-Braunschweiger Friedens von 1553 siehe Spiess 1966, I, S. 103-
106.
15 Ebenda, S. 102.
16 Siehe S. io8f.
17 Rehtmeyer 1707, 1, S. 127: »Im Jahr 1615. den 29. Octob. ist bey
Belagerung der Stadt von Hertzog Friedrich Ulrich eine Canonen-Ku-
gel durchs Fenster nahe bey dem auf der Kantzel stehenden Prediger
vorbey an den Pfeiler geflogen und ein Stück davon gesprenget [...]«.
iS Kat. Ausst. Wittenberg 2015, S. 374k, 378L, 380k, 383, Kat.
Nr. 3/41, 3/43^, 3/46; vgl. ferner Martina Sitt und Desiree Monsees,
Der einsame Christus am Kreuz - Ein Bildtypus von Cranach dem
Jüngeren in der pro-reformatorischen, bildlichen Argumentation, in:
Werner 2015, S. 309-317.