EHEMALS LAGE • JOHANNITERKOMMENDE
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fahrtskirche mitsamt ihrer Verglasung in heftige Streitereien mit dem Bischofsstuhl in Osnabrück verwickelt war,
könnten - so Schnackenburg - den Anstoß gegeben haben, durch dieses ausgefallene Bildprogramm die »souveräne
und autarke Stellung des Ordens gegenüber dem Bischof« zum Ausdruck zu bringen18.
Gegen diese aus historischer Sicht fundierte These spricht allerdings der Umstand, dass bislang keine Beispiele für
das profan-ritterliche Bildprogramm der Neun Guten Helden in sakralen Räumen überliefert oder bekannt sind19.
Der für diese Zeit signifikante Glasmalereikomplex in der Gerichtslaube des Lüneburger Rathauses mit einem zen-
tralen Neun-Helden-Zyklus (Fig. 301), dessen einzelne Gestalten tatsächlich einige motivische wie kompositorische
Parallelen mit den Standfiguren aus Lage aufweisen, ist - ebenso wie die anderen von Rüdiger Becksmann herange-
zogenen Denkmäler dieser Art - ausschließlich für profane Bauten bestimmt gewesen20. Da nun der ursprüngliche
Standort der überkommenen Scheiben nicht ermittelt werden kann, bleiben ihre liturgische Funktion und der ehe-
malige Kontext bis auf weiteres ebenfalls offen.
Komposition, Ornament, Farbigkeit: Die im Dreiviertelprofil einander zugewandten Figuren in ritterlicher
Ausrüstung stehen in minimal verräumlichten Architekturgehäusen, die in den abschließenden Kopfscheiben in
Kielbogentabernakeln münden; diese sind vor Blendarkaden gesetzt und jeweils mit einem ausladenden Dreier-
türmchen bekrönt. Sowohl die einzelnen Elemente als auch der Aufbau dieser ausschließlich in Grisaille-Technik
ausgeführten Architekturrahmungen erinnert vielfach an die Lüneburger Glasmalereiproduktion des frühen 15.
Jahrhunderts21. Auch für die die unteren Scheibenränder rahmenden zeittypischen Maßwerkborten liegt der Ver-
gleich mit identischen Motiven im Ebstorfer Kreuzgangfenster XIV auf der Hand22. Im ornamentalen Bereich ist
darüber hinaus der blaue Hintergrund der Ritterfigur hervorzuheben, der mit einer frei radierten, breitblättrigen
und mit Blüten abschließenden Ranke verziert ist (Muster VII, 14). Der rote ungemusterte Hintergrund der Kaiser-
figur lässt auf einen Farbwechsel innerhalb des Fensters schließen, erlaubt allerdings kein Urteil über die ursprüng-
liche Anzahl der Fensterbahnen.
Der überkommene Scheibenkomplex vermittelt trotz der begrenzten Farbpalette einen lebhaften, farbintensiven
Gesamteindruck, für den vor allem die Kontraste zwischen den überwiegend hellen oder nur wenig abgetönten
Grisaillegläsern und den durch kräftiges Rot, Blau, Gelb und Violett vertretenen Farbgläsern sorgen. Die Verwen-
dung von Silbergelb ist für diese Zeit ungewöhnlich sparsam und begegnet lediglich in wenigen Details der Ausrü-
stung und in der Haarmodellierung Karls des Großen.
Technik, Stil, Datierung: Selbst im gegenwärtigen, stark ergänzten Zustand der Scheiben zeigt sich noch das ge-
hobene künstlerische Niveau der ausführenden Werkstatt, die routinierte Gestaltungsformeln mit souveräner Zeich-
nung und plakativer Farbigkeit zu vereinen wusste. Die kräftigen, etwas untersetzten und dennoch elegant positio-
nierten Gestalten, ihre Physiognomien mit sanftmütigen Augen, breiten halbmondförmigen Lidern, hochgesetzten
Augenbrauen und eckig gebrochenen Nasen- und Mundkonturen bezeugen die Zugehörigkeit dieses Restbestandes
zu dem bereits mehrfach erörterten Kunstkreis, der sich vornehmlich im norddeutschen Raum im Rahmen des Wei-
chen Stils entfaltete23. Eine besonders enge Verwandtschaft lässt sich zum Formenschatz jenes Lüneburger Werkstatt-
kreises feststellen, der mit den Ebstorfer Kreuzgangfenstern XIII-XV und mit dem Intercessio-SchutzmanteL
Marie-Luise Schnackenburg vermutet, dass der Restbestand zu
dem Zeitpunkt des Ausbaus die beiden mittleren Bahnen in den Zeilen
zwei bis vier des zehnzeiligen Ostfensters eingenommen hat (Schna-
ckenburg 199 5, S. 11 o mit Anm. 20), was mit größter Wahrscheinlich-
keit für die Zweitverwendung spricht.
11 Einer vor dem Umbau 1902-04 angefertigten Fotoaufnahme aus
dem Kirchenarchiv lassen sich die Grundformen des ehemaligen Ost-
fensters, jedoch keine Details seiner Verglasung entnehmen (veröffent-
licht in: 750 Jahre Rieste. Eine Chronik in Wort und Bild, hrsg. von der
Gemeinde Rieste, Ankum 1995, S. 141).
12 Siehe ebenda, Anm. 17.
D Schnackenburg 1995, S. 96, Anm. 26.
D Kopie des Restaurierungsberichts der Werkstätten Dr. Heinrich
Oidtmann vom April 1997 im Archiv der Freiburger Arbeitsstelle des
Corpus Vitrearum Deutschland.
15 Vgl. auch Queckenstedt 2005, bes. S. 12-15.
16 Schnackenburg 1995, S. 96.
17 Ebenda.
18 Ebenda, S. 97-100.
19 LCI, II, 1970, Sp. 235E (Robert Wyss); Ivo Rauch u.a. (Hg.), Die
gute Regierung. Vorbilder der Politik im Mittelalter, Begleitheft zur
Ausstellung im Schnütgen-Museum Köln, Köln 2001.
20 Rüdiger Becksmann in: Becksmann/Korn 1992, S. 89-92 mit
Anm. 38-42, Farbtafel VIII, Taf. 27-29.
21 Vgl. etwa die Kreuzgangfenster in Kloster Ebstorf und Kloster
Lüne, Fenster VI in der Gerichtslaube des Lüneburger Rathauses oder
die ehemalige Farbverglasung der St.-Viti-Kapelle in Uelzen (CVMA
Deutschland VII,2, 1992, Taf. 20-22, 27-29, 41-43, und S. 386 des
vorliegenden Bandes).
22 CVMA Deutschland VII,2, 1992, Taf. 22-23.
23 Vgl. hierzu ausführlich die Kunstgeschichtliche Einleitung
S. 55-60.
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fahrtskirche mitsamt ihrer Verglasung in heftige Streitereien mit dem Bischofsstuhl in Osnabrück verwickelt war,
könnten - so Schnackenburg - den Anstoß gegeben haben, durch dieses ausgefallene Bildprogramm die »souveräne
und autarke Stellung des Ordens gegenüber dem Bischof« zum Ausdruck zu bringen18.
Gegen diese aus historischer Sicht fundierte These spricht allerdings der Umstand, dass bislang keine Beispiele für
das profan-ritterliche Bildprogramm der Neun Guten Helden in sakralen Räumen überliefert oder bekannt sind19.
Der für diese Zeit signifikante Glasmalereikomplex in der Gerichtslaube des Lüneburger Rathauses mit einem zen-
tralen Neun-Helden-Zyklus (Fig. 301), dessen einzelne Gestalten tatsächlich einige motivische wie kompositorische
Parallelen mit den Standfiguren aus Lage aufweisen, ist - ebenso wie die anderen von Rüdiger Becksmann herange-
zogenen Denkmäler dieser Art - ausschließlich für profane Bauten bestimmt gewesen20. Da nun der ursprüngliche
Standort der überkommenen Scheiben nicht ermittelt werden kann, bleiben ihre liturgische Funktion und der ehe-
malige Kontext bis auf weiteres ebenfalls offen.
Komposition, Ornament, Farbigkeit: Die im Dreiviertelprofil einander zugewandten Figuren in ritterlicher
Ausrüstung stehen in minimal verräumlichten Architekturgehäusen, die in den abschließenden Kopfscheiben in
Kielbogentabernakeln münden; diese sind vor Blendarkaden gesetzt und jeweils mit einem ausladenden Dreier-
türmchen bekrönt. Sowohl die einzelnen Elemente als auch der Aufbau dieser ausschließlich in Grisaille-Technik
ausgeführten Architekturrahmungen erinnert vielfach an die Lüneburger Glasmalereiproduktion des frühen 15.
Jahrhunderts21. Auch für die die unteren Scheibenränder rahmenden zeittypischen Maßwerkborten liegt der Ver-
gleich mit identischen Motiven im Ebstorfer Kreuzgangfenster XIV auf der Hand22. Im ornamentalen Bereich ist
darüber hinaus der blaue Hintergrund der Ritterfigur hervorzuheben, der mit einer frei radierten, breitblättrigen
und mit Blüten abschließenden Ranke verziert ist (Muster VII, 14). Der rote ungemusterte Hintergrund der Kaiser-
figur lässt auf einen Farbwechsel innerhalb des Fensters schließen, erlaubt allerdings kein Urteil über die ursprüng-
liche Anzahl der Fensterbahnen.
Der überkommene Scheibenkomplex vermittelt trotz der begrenzten Farbpalette einen lebhaften, farbintensiven
Gesamteindruck, für den vor allem die Kontraste zwischen den überwiegend hellen oder nur wenig abgetönten
Grisaillegläsern und den durch kräftiges Rot, Blau, Gelb und Violett vertretenen Farbgläsern sorgen. Die Verwen-
dung von Silbergelb ist für diese Zeit ungewöhnlich sparsam und begegnet lediglich in wenigen Details der Ausrü-
stung und in der Haarmodellierung Karls des Großen.
Technik, Stil, Datierung: Selbst im gegenwärtigen, stark ergänzten Zustand der Scheiben zeigt sich noch das ge-
hobene künstlerische Niveau der ausführenden Werkstatt, die routinierte Gestaltungsformeln mit souveräner Zeich-
nung und plakativer Farbigkeit zu vereinen wusste. Die kräftigen, etwas untersetzten und dennoch elegant positio-
nierten Gestalten, ihre Physiognomien mit sanftmütigen Augen, breiten halbmondförmigen Lidern, hochgesetzten
Augenbrauen und eckig gebrochenen Nasen- und Mundkonturen bezeugen die Zugehörigkeit dieses Restbestandes
zu dem bereits mehrfach erörterten Kunstkreis, der sich vornehmlich im norddeutschen Raum im Rahmen des Wei-
chen Stils entfaltete23. Eine besonders enge Verwandtschaft lässt sich zum Formenschatz jenes Lüneburger Werkstatt-
kreises feststellen, der mit den Ebstorfer Kreuzgangfenstern XIII-XV und mit dem Intercessio-SchutzmanteL
Marie-Luise Schnackenburg vermutet, dass der Restbestand zu
dem Zeitpunkt des Ausbaus die beiden mittleren Bahnen in den Zeilen
zwei bis vier des zehnzeiligen Ostfensters eingenommen hat (Schna-
ckenburg 199 5, S. 11 o mit Anm. 20), was mit größter Wahrscheinlich-
keit für die Zweitverwendung spricht.
11 Einer vor dem Umbau 1902-04 angefertigten Fotoaufnahme aus
dem Kirchenarchiv lassen sich die Grundformen des ehemaligen Ost-
fensters, jedoch keine Details seiner Verglasung entnehmen (veröffent-
licht in: 750 Jahre Rieste. Eine Chronik in Wort und Bild, hrsg. von der
Gemeinde Rieste, Ankum 1995, S. 141).
12 Siehe ebenda, Anm. 17.
D Schnackenburg 1995, S. 96, Anm. 26.
D Kopie des Restaurierungsberichts der Werkstätten Dr. Heinrich
Oidtmann vom April 1997 im Archiv der Freiburger Arbeitsstelle des
Corpus Vitrearum Deutschland.
15 Vgl. auch Queckenstedt 2005, bes. S. 12-15.
16 Schnackenburg 1995, S. 96.
17 Ebenda.
18 Ebenda, S. 97-100.
19 LCI, II, 1970, Sp. 235E (Robert Wyss); Ivo Rauch u.a. (Hg.), Die
gute Regierung. Vorbilder der Politik im Mittelalter, Begleitheft zur
Ausstellung im Schnütgen-Museum Köln, Köln 2001.
20 Rüdiger Becksmann in: Becksmann/Korn 1992, S. 89-92 mit
Anm. 38-42, Farbtafel VIII, Taf. 27-29.
21 Vgl. etwa die Kreuzgangfenster in Kloster Ebstorf und Kloster
Lüne, Fenster VI in der Gerichtslaube des Lüneburger Rathauses oder
die ehemalige Farbverglasung der St.-Viti-Kapelle in Uelzen (CVMA
Deutschland VII,2, 1992, Taf. 20-22, 27-29, 41-43, und S. 386 des
vorliegenden Bandes).
22 CVMA Deutschland VII,2, 1992, Taf. 22-23.
23 Vgl. hierzu ausführlich die Kunstgeschichtliche Einleitung
S. 55-60.