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Kosina, Elena; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Niedersachsen: ohne Lüneburg und die Heideklöster — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2017

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https://doi.org/10.11588/diglit.52867#0311
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EHEMALS LAGE • JOHANNITERKOMMENDE

waren, um mehr Licht für den Raum zu gewinnen, ließ sich bislang nicht ermitteln10. Die schlüssige Fortsetzung
der Architekturrahmung in den Kopfscheiben und die Übereinstimmung der genasten Formen mit den Maßwerk-
öffnungen der erhaltenen Fenster legen ihre Herkunft aus den obersten Fensterzeilen nahe. Da das historische
Ostfenster jedoch dem Chorneubau von 1960-62 zum Opfer fiel, verbietet sich hier jede weitere Diskussion11.
Die durch den Verkauf der Scheiben erworbenen Mittel wurden von der Gemeinde für die moderne Verglasung der
Chorseitenfenster durch die Firma Derix verwendet12. Die übrigen Kirchenfenster haben eine moderne Blankver-
glasung.
Erhaltung: Der überkommene Scheibenbestand enthält gut zur Hälfte mittelalterliches Glas, das allerdings durch-
gehend stark korrodiert und durch mehrere Sprünge bzw. Notbleie beeinträchtigt ist. Die Bemalung dagegen ist,
insbesondere in den Halbtonüberzügen, relativ gut erhalten. Die meisten Schäden wurden den Scheiben während
des Zweiten Weltkrieges zugefügt. Die 1973 durch das Diözesanmuseum beauftragte Werkstatt Deppen in Osna-
brück hatte danach die vorerst notwendigsten, wenn auch nicht immer stilgetreuen Maßnahmen durchgeführt, die
Fehlstellen geschlossen, die zerstörten Bleie ersetzt und die abgeblätterte Schwarzlotzeichnung anhand der alten
Fotoaufnahmen nachgezogen13. Die anschließende Restaurierung von 1997/98 in der Glasmalereiwerkstatt Oidt-
mann in Linnich sorgte für das heutige, weitgehend authentische Erscheinungsbild des Bestandes, indem sämtliche
farbig unpassenden Ergänzungen ersetzt, die störenden Notbleie entfernt und eine gründliche Oberflächenreinigung
durchgeführt wurde14.


Fig. 301. Fenster der Neun Guten Helden (Ausschnitt mit Gottfried
von Bouillon, Karl dem Großen und König Artus).
Lüneburg, Rathaus, Gerichtslaube.
Lüneburg, um 1410/20.

Rekonstruktion, ikonographisches Programm:
Ungewöhnlich für die ansonsten in zeittypischer Gestalt
dargestellten Standfiguren sind die fehlenden Heiligen-
scheine, insbesondere, wenn man deren ursprünglichen
Standort in einem der Chorfenster annehmen will. Dabei
sprechen die großenteils im Originalbestand erhaltenen
Attribute des Ritters mit Krone und Schwert sowie der
mit Hermelin beschlagene Umhang und die franzö-
sischen Lilien im Schild für dessen Identifizierung mit
Kaiser Karl dem Großen, dessen Heiligenverehrung im
Bistum Osnabrück auf eine lange Tradition zurückbli-
cken kann15. Bei der zweiten Figur, die dem prominenten
Kaiser als gleichrangiges Pendant an die Seite gestellt
wurde, liegt es nahe, aufgrund des schwarzen Mantels
mit dem weißen achtspitzigen Kreuz der Johanniter an
einen Ritter ebendieses Ordens zu denken; die übrigen
Details seiner Gestalt und Ausrüstung sind eher kon-
ventionell. Auf die ikonographische Eigenart der Lager
Scheiben hat bereits Marie-Luise Schnackenburg auf-
merksam gemacht16. Sie führt die ungewöhnliche Kon-
stellation auf die Ikonographie der Neun Guten Hel-
den zurück, in deren Kreis »Karl der Große zwischen
Gottfried von Bouillon und König Artus die Mitte der
christlichen Triade einnimmt«17. Ferner verweist die Au-
torin mit Nachdruck auf die Bedeutung, die diese Ide-
algestalten ritterlicher Tugend für die Johanniter besa-
ßen: Karl der Große als Rechtsstifter und Gottfried von
Bouillon, dessen Stelle an Karls Seite hier ein Johanni-
territter einnimmt, als Beschützer des christlichen Glau-
bens. Die historischen Umstände der Kommende Lage,
die zum Zeitpunkt der Errichtung einer neuen Wall-
 
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