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Kosina, Elena; Korn, Ulf-Dietrich
Die mittelalterlichen Glasmalereien in Niedersachsen: ohne Lüneburg und die Heideklöster — Corpus vitrearum medii aevi - Deutschland, Band 7,1: Berlin: Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, 2017

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.52867#0315
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LOCCUM • EHEM. ZISTERZIENSERKLOSTER

In den Jahren 1848—54 wurde die Klosteranlage durch den Hannoveraner Architekten und Hochschullehrer Conrad
Wilhelm Hase tiefgreifend restauriert und zum Teil in vereinfachten Formen umgestaltet. Die letzten Eingriffe in
die Bausubstanz erfolgten nach dem Brand von 1947 und betrafen vorwiegend die Ausstattung der Klosterkirche8.
Heute zählt der überlieferte Baukomplex in Loccum neben Kloster Maulbronn zu den besterhaltenen großen Zister-
zienserklöstern in Deutschland.
Über die Geschichte der Verglasung der Klosterkirche ist nur wenig bekannt. Von einer 1366 erfolgten Fensterstif-
tung des Grafen Johannes von Hoya »auf dem hohen Chor gegen Osten«, die ohne Quellenangabe durch Christoph
Erich Weidemann überliefert wird9, waren laut Hector W. H. Mithoff im Jahre 1871 noch »einige Wappen der
Grafen von Hoya im oberen Fenster des Ostgiebels« erhalten geblieben10. Im Übrigen verzeichnete Mitthoff unter
der »nicht bedeutenden altern Glasmalerei in der Kirche« eine Darstellung des Hl. Georg in einem südlichen Fenster
des Langhauses und ein Wappen des Abtes Burchard II., welches allein »unbeschädigt geblieben und in einem Ka-
pellenfenster wieder angebracht« sei11. Das besondere Interesse Mithoffs galt jedoch den Ornamentverglasungen
im Maßwerk des Kreuzgangs, die »meistens Grau in Grau, zuweilen mit sparsamer Verwendung von Roth, Blau und
Gelb« ausgeführt seien, »eine begabte Künstlerhand verraten« und aus der Erbauungszeit des Kreuzgangs stammen
dürften12.
Von dem einstigen, bereits bis zum 19. Jahrhundert weitgehend dezimierten Glasmalereibestand der Klosterkirche
und des Kreuzgangs ist heute lediglich die von Hölscher in der Mandelsloh-Kapelle vorgefundene Scheibe des Hl.
Matthias übrig geblieben. Die letzte Restaurierung der Scheibe erfolgte im Jahr 1973 in der Werkstatt Oidtmann in
Linnich. Während dieser Maßnahme wurde das Bleinetz erneuert, die störenden Milchglasfragmente durch neutrales
dunkles Glas ersetzt und ein fehlendes Fragment des Fliesenbodens ergänzt. Im Anschluss daran wurde die restau-
rierte Scheibe in einem Leuchtkasten im Haus Molanus ausgestellt.

Vorbemerkung zum Katalog: Die Scheibe wurde im Juni 2014 an ihrem Präsentationsort im Haus Molanus von der
Verfasserin untersucht und von Andrea Gössel für das CVMA fotografiert.
CVMA A 06/2014/105 D

1. HL. APOSTEL MATTHIAS Fig. 304, Abb. 224
H. 58 cm, B. 34,5 cm.
Glaserinschrift: Auf einem im Glas von dem Restbestand ab-
weichenden Gewandfragment eine rückseitig eingekratzte Si-
gnatur des Glasers: Heinr[.. Jht Küller[...] 1831.
Zur Frage des ursprünglichen Standorts: Die Standfigur des
Apostels Matthias wurde am Ort erstmals im Jahre 1913 durch
Uvo Hölscher erwähnt. Damals befand sie sich im Fenster
nord VII der sog. Mandelsloh-Kapelle des Nordquerhauses
und galt »in der Klostertradition« - so Hölscher - »als Bild
des Abtes Burchard II. Stöter, der 1528 von einem Müncheha-
gener Bauern mit der Axt erschlagen wurde«13. Möglicherweise
bestand ehedem ein Zusammenhang zwischen dieser Scheibe
und jenem bei Mithoff 1871 erwähnten Wappen des Abtes
Burchard II., welches zu seiner Zeit einzig »unbeschädigt ge-
blieben und in einem Kapellenfenster wieder angebracht«
war14. Da ein solches Wappen aber nicht erhalten ist und auch
keine erkennbare Verbindung zwischen der Matthias-Scheibe
und den Gedenkstiftungen für den ermordeten Abt existiert,
muss diese Frage ungeklärt bleiben15.
Erhaltung: Sehr schlecht; zu etwa 70 % originale Gläser, je-
doch sehr stark verwittert und insgesamt verdunkelt. Zum mit-
telalterlichen Glasbestand gehört nur die Figur des stehenden
Apostels auf Damast- bzw. Fiederrankengrund, der mutmaß-
lich während der Restaurierung im Jahr 1831 einige sehr gut an-
gepasste Ergänzungen, eine komplett neue rechteckige Milch-
glasrahmung sowie eine neue Verbleiung erhalten hatte. Die
alten Glasoberflächen sind teilweise stark abgewittert, überdies
weisen die violetten Scherben fortgeschrittene Lochfraßkor-
rosion und mehrere Sprünge auf. Die vorderseitige Bemalung


ist sehr schlecht erhalten, speziell im Kopf des Heiligen ist die
Zeichnung fast vollständig verloren. Bleinetz 1973 ersetzt.
Ikonographie, Komposition, Ornament: Die im %-Profil ste-
hende, nach rechts gewandte Figur des Apostels Matthias mit
seinem bevorzugten Attribut, der Hellebarde16, ist mit einem
leicht verräumlichten Hintergrund versehen: mit diagonal ver-
laufenden, kassettenförmigen Fliesen mit eingeschriebenen
Kreisen am Boden, einem Damastteppich mit Granatapfelmus-
ter und Edelsteinborte sowie einem kuppelartigen Abschluss
mit Fiederranken darüber. Im stark korrodierten Nimbus des
Heiligen lassen sich noch die Reste eines ausradierten Blüten-
kranzes und eines Perlbandes erkennen.
Farbigkeit, Technik: Die Gesamtwirkung der Scheibe ist von
einem kontrastreichen Farbakkord von Weiß, Stahlblau, Vio-
lett und Grün mit großzügigem Silbergelbauftrag bestimmt.
Die maltechnischen Charakteristika lassen auf keine besonders
anspruchsvolle Meisterhand schließen. Sowohl in der Falten-
gebung als auch in der Gestaltung der Hintergründe, der Bö-
 
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